Kinder unseres Geistes

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Liebe in Zeiten der Technik

Ein Gespräch mit Arthur Zajonc

Wie können die kontemplativen Traditionen unser Verständnis der Visionen des Transhumanismus erweitern? In diesem Interview voller überraschender Einsichten betrachtet Arthur Zajonc, der Leiter des Mind and Life Institute, wie die technische Entwicklung unser Menschsein herausfordert.

evolve: Sie engagieren sich sehr dafür, die Weisheit der kontemplativen Traditionen der westlichen Kultur nahezubringen. Wie sehen Sie im Lichte Ihrer Arbeit die transhumanistische Vision, eine künstliche Intelligenz zu erschaffen?

Arthur Zajonc: Die Vision des Transhumanismus stellt unser Konzept vom Menschsein und von den Zielen der menschlichen Entwicklung infrage. Aber wenn man sich die kontemplativen Traditionen anschaut, dann versuchen sie in gewisser Weise, einen Transhumanismus eigener Art zu praktizieren. Innerhalb dieser Traditionen finden wir ein Verständnis des Menschen, das sich nicht nur auf die physische, körperliche Natur bezieht, sondern auch auf den subtilen Körper und subtile Energien. Und das Ziel der Meditation besteht zum Teil darin, den Menschen in eine Art neuen Menschen umzuformen, eine voll bewusste, vollkommen transformierte Existenz.
Es gibt jedoch einen Unterschied zwischen Transformation durch Übung und technischer Optimierung. Es ist wie beim Geigenspiel: Es gibt die hart errungene Fähigkeit, das Geigenspiel zu lernen, oder man entwickelt einfach eine mechanische Geige oder lädt sich den Geigenklang aus dem iTunes-Store herunter. Verloren geht dabei der Lernprozess, durch den wir die Musik selbst spielen können. Durch den mechanischen Klang bekommt man es einfach geliefert. So ist es mit jeder Fähigkeit, zum Beispiel der Fähigkeit zum luziden Träumen. Heutzutage kann man ein Gerät kaufen, mit dem man das Klarträumen fördern kann.
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Meditieren oder meditiert werden

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evolve: Es gibt eine Reihe von technikunterstützten Meditationspraktiken, die genau das ermöglichen, was Sie über das luzide Träumen gesagt haben. Und gerade haben Sie in etwa gesagt, das sei nicht die echte Erfahrung. Warum sind Sie dieser Ansicht?

Arthur Zajonc: Meine Einstellung zu diesen technischen Möglichkeiten ist die, dass sie weder gut noch schlecht sind. Man kann sie sehr leicht in die eine oder die andere Richtung lenken. Es stellt sich also die Frage, worum es dabei eigentlich geht. Was ist der Sinn einer Technik, die eine Veränderung in Ihren Gehirnwellen hervorruft, die man in meditativen Zuständen normalerweise bereits durch die sorgfältige Beobachtung des eigenen Geisteszustands erzielt? Ich denke, dass wir in diesen Geräten ein Ersatzmittel für den Meditationsprozess besitzen. Manchmal ist ein Hilfsmittel eine gute Sache. Nehmen wir die Stützräder an einem Fahrrad. Statt einfach auf zwei Rädern loszufahren, dabei einige Male hinzufallen und sich die Knie aufzuschlagen, ist es wohl gescheiter, es mit Stützrädern zu versuchen. Man muss aber auch wissen, wann es Zeit ist, die Stützräder abzuschrauben. Sie werden bei der Tour de France niemand sehen, der mit Stützrädern fährt.

evolve: Das ist eine wichtige Unterscheidung – es ist ein Unterschied, ob ich durch eigene Anstrengung meine Bewusstheit entwickle oder ob ich mithilfe eines technischen Geräts bestimmte Zustände erfahre. Die Transhumanisten gehen einen Schritt weiter und sprechen davon, eine künstliche Intelligenz zu schaffen, die der menschlichen Intelligenz gleichkommt oder sie sogar übertrifft. Wie stehen Sie zu dieser Idee?

Arthur Zajonc: Das ist eine schwierige Frage, denn wir haben die Grenzlinie zwischen „natürlich“ und „künstlich“ bereits verwischt. Wenn die Wissenschaftler etwa aufgrund ihrer Kenntnis des menschlichen Genoms in der Lage wären, einen künstlichen Embryo zu erzeugen, was könnte dem fehlen im Vergleich zu einem Embryo, der auf dem Weg der natürlichen Reproduktion zustande gekommen ist? Ich vermute, dass solch ein künstliches Produkt unserer Forschung einem natürlichen Embryo gleich sein wird. Wir werden die Natur immer bewusster verstehen und durch die Macht unserer Technik Lebensformen erschaffen, die menschenähnlich oder in gewissem Sinn auch wirklich menschlich sind. In diesem Fall sollten sie dieselbe Liebe und Aufmerksamkeit erhalten, wie unsere herkömmlich gezeugten Kinder.
Von einem spirituellen Standpunkt aus könnte man fragen: Wo ist der Geist? Aber wer kann das sagen, wann sich Geist einstellt und wann nicht? Was sind die Bedingungen für eine Inkarnation? Für mich ist es in keiner Weise klar, dass die natürliche Ordnung im materiellen Sinne unterscheiden würde zwischen dem „Kunstwerk“, der wissenschaftlichen und künstlichen Produktion eines Embryos, und einem natürlichen Embryo, der durch menschliche Fortpflanzung zustande gekommen ist.
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Liebenswerte Wesen

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evolve: Glauben Sie, dass den kontemplativen Traditionen und Praktiken eine besondere Verantwortung im Umgang mit diesen Möglichkeiten zukommt?

Arthur Zajonc: Ja, wie bei der Metta-Übung der liebenden Güte können wir in unsere Liebe nicht nur die einschließen, die uns ähnlich sind, sondern auch die Wesen, die anders sind als wir. Ich denke, dies wird eine unserer künftigen Aufgaben sein. Mehr und mehr werden wir dazu aufgerufen sein, die Kreise unserer Zuwendung, unserer Liebe und Fürsorge immer weiter auszuweiten – einschließlich der Wesen, die wir selbst mit eigenen Händen hergestellt oder geschaffen haben. Sie wären Kinder unseres eigenen Geistes.

evolve: Glauben Sie, dass diese Kinder unseres Geistes, wie auch immer sie aussehen werden, eines Tages in der Lage sein werden, auch uns zu lieben?

Arthur Zajonc: Ja. Vielleicht ist es eine andere Art von Liebe, so wie ich ohnehin glaube, dass es verschiedene Arten von Liebe gibt. Die Liebe einer Mutter zu ihrem Kind unterscheidet sich von der Liebe zwischen zwei Freunden, und die ist wieder anders als die spirituelle Liebe. Wenn die rechte physikalische Organisation vorhanden ist, das heißt, das richtige wissenschaftliche Verständnis von Technik und physikalischer Organisation, dann glaube ich nicht, dass es unüberwindliche Grenzen gibt, solche künstlichen Lebewesen zu erschaffen. Wenn wir sie mit Würde, Liebe und Zuwendung behandeln, wie wir es bei unseren Kindern tun, werden sie mit dieser Möglichkeit in Kontakt kommen.
Aber all diese Möglichkeiten auf der einen Seite werfen lange Schatten auf der anderen Seite. Schon jetzt ist es oft schwer genug, den anderen zu lieben. Mit diesen neuen Geschöpfen erschaffen wir Wesen einer vollkommen anderen Art. Werden wir freundlich und großzügig sein oder werden wir sie als Sklaven betrachten, als Drohnen oder als unsere Feinde? In diesem Fall könnte ich mir viele katastrophale Ergebnisse vorstellen. Die Frage ist nicht, ob es geschehen wird, sondern ob wir die moralische Größe haben, damit umzugehen.
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Fremde Fantasien

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evolve: Sie sagen also, dass unsere Motive hinter der Erschaffung künstlicher Lebewesen entscheidend sind und genauso die Art, wie wir sie behandeln, wenn wir sie einmal erschaffen haben.

Arthur Zajonc: Genau, das sind die entscheidenden Fragen. Erstens: Können wir Lebewesen erschaffen, die uns gleichen? Ich glaube, früher oder später wird das geschehen. Dabei ist das Timing wirklich wichtig. Denn wenn wir zu schnell sind, wie es oft durch den Druck der Kommerzialisierung der Fall ist, dann entwickeln wir nicht parallel die ethischen Kapazitäten, die wir brauchen, um tatsächlich zu verstehen, was wir tun. Zweitens geht es darum, moralisch und liebevoll mit unseren Geschöpfen umzugehen. Wenn wir nur Roboter für unseren Komfort und für kommerzielle Zwecke entwickeln wollen, ist das alles nur vom Ego und von Selbstbezogenheit getrieben.
Beim Transhumanismus ist es etwas komplizierter, denn hier handelt es sich um die materielle Vortäuschung einer spirituellen Errungenschaft. Nehmen wir als Beispiel die Vorstellungskraft: Sagen wir, wir wollen in jedem Kind und in jedem Erwachsenen freie Vorstellungskraft fördern. Aber stattdessen schaffen wir virtuelle Realitäten, wir können uns in ein Videospiel einklinken und bekommen eine Kampfausrüstung oder einen transgalaktischen Express. Unsere Fantasien werden uns zur Verfügung gestellt, das Spiel zieht uns rein, es ist nicht unsere eigene Energie, wir werden von der Technik mitgerissen. Es ist nicht unsere eigene Vorstellungskraft, es sind kommerziell manipulierte Vorstellungen. Es ist nichts als eine Imitation, eine armselige und profitgetriebene Imitation.

screenshot_404evolve: Das Tempo der Entwicklung, über das Sie sprechen, fügt unserer eigenen Entwicklung als Menschen eine evolutionäre Spannung hinzu. Diese Entwicklungen geschehen ja. Die Frage ist, wie reagieren wir darauf?

Arthur Zajonc: Genau, parallel zur technischen Entwicklung muss eine ethische Entwicklung stattfinden. Unsere Schulen und Universitäten wenden zu wenig Zeit auf, um über diese Dinge nachzudenken. Es wäre lächerlich zu sagen: „Halt, Stopp!“ Das ist keine Lösung. Regierungen und Bildungseinrichtungen müssten sich jedoch mit diesen Problemen auf der grundlegendsten ethischen Ebene beschäftigen. Nicht mit grob vereinfachenden Antworten und Regeln. Vielmehr müssen wir verstehen, wie wir diese technischen Möglichkeiten so akzeptieren und nutzen können, dass sichergestellt ist, dass sie immer den höchsten Zielen unserer Menschlichkeit dienen.

Das Gespräch führte Tom Steininger.

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