„Every Thing Will Be Fine“: Der neue Film von Wim Wenders

Charlotte-Gainsbourg-James-Franco-in-Every-Thing-Will-Be-Fine-sliceWege des Schicksals
Über den neuen Film von Wim Wenders „Every Thing Will Be Fine“

Mike Kauschke

Es gibt Momente im Leben, die alles verändern. Krisen, Begegnungen oder Schicksalschläge, die von uns fordern, unser Leben völlig neu zu verstehen und selbst ein anderer zu werden, unsere Komfortzone zu verlassen. Der neue Film von Wim Wenders erzählt die Geschichte eines Menschen, der in solch eine Herausforderung geworfen wird. Und als Zuschauer begleiten wir ihn bei der Suche nach Erlösung, nach Sinn in einem sinnlos erscheinenden „Zwischenfall“. Wie für Wenders typisch, verleiht er dem Schicksal eines Menschen eine universelle Bedeutung.
„Every Thing Will Be Fine“ ist der erste Spielfilm von Wim Wenders nach „Palermo Shooting“ von 2008, der die allegorische Begegnung eines überdrehten Fotografen mit dem personifizierten Tod erzählt. In seinem neuen Film verzichtet Wenders auf solche metaphysischen Einbrüche in die Realität seiner Protagonisten und bleibt ganz bei den Tatsachen. Vielleicht wirken hier auch seine erfolgreichen Experimente mit dem Dokumentarfilm nach, die ihm mit „Pina“ und „Das Salz der Erde“ viel Lob einbrachten. Aus dem 3-D-Porträt der Tänzerin Pina Bausch hat er die 3-D-Technik nun mit seinem neuen Film auch in den Spielfilm eingeführt. Hier bekommt durch die räumliche Erweiterung die Realität der Figuren selbst eine neue Dimension, was einem als Zuschauer noch einmal mehr den Eindruck gibt, mit den Menschen im Film in einem Raum, in einer Wirklichkeit zu sein. Statt wie bisher in animierten Science-Fiction-Welten, wird hier die Realität selbst erhöht und eröffnet neue Blicke auf alltägliches. Gleich zu Beginn zeichnet der Film beeindruckende Stimmungen, wenn Gegenstände zu Stillleben, oder der Staub im Sonnenlicht oder der wirbelnde Schnee raumhaft spürbar werden. Zudem kann Wenders mit der 3-D-Technik die Aufmerksamkeit des Zuschauers noch besser leiten, indem jeweils bestimmte Aspekte der Szenen in den Vorder- oder Hintergrund gehen. Damit das nicht ablenkend wird, erfordert es vom Zuschauer ein tieferes Sich-Einlassen auf das Geführt-Werden in der Geschichte des Films.
In dieser Geschichte nimmt nach einem kontemplativ wirkenden Einstieg das Schicksal seinen Lauf. Der junge Autor Tomas, gespielt von James Franco, überfährt im Winter Kanadas bei einem Unfall ein Kind. Für den introvertierten Mann bricht eine Welt zusammen und auch seine schon brüchige Beziehung. Nach einem Selbstmordversuch zieht es ihn wieder zurück an den Ort des Geschehens, wo er der Mutter des Jungen begegnet, die in subtiler Ausdrucksstärke von Charlotte Gainsbourg gespielt wird. Die Begegnung der beiden ist eine der stärksten Szenen des Films und zeigt zwei Menschen, die das Erlebte zutiefst verletzlich gemacht hat. Trotz des schrecklichen Ereignisses spüren sie eine zarte Zuneigung, die sie in ihrem ungeschützten Menschsein tief zu verbinden scheint. Aber die erhoffte Erlösung findet Tomas in dieser Annäherung nicht.
Der Film begleitet Tomas über 12 Jahre, in denen er versucht, eine befreiende Antwort auf dieses Ereignis zu finden – er schreibt ein Buch mit Elementen des Unfalls und wird damit berühmt, er findet eine neue Familie und trifft den Bruder des getötet Jungen. Aber Tomas bleibt in alledem in sich gekehrt, sein Schreiben scheint der Ort zu sein, wo er seine Erlebnisse verarbeitet. Für seine Umgebung – und auch als Zuschauer – erfordert seine scheinbare emotionale Bewegungslosigkeit einige Geduld. Bezeichnend die Szene, in der er nach einem Unfall, in den die Tochter seiner neuen Lebensgefährtin verwickelt war, scheinbar unbeeindruckt ein Buch liest. Seine Freundin schaut ihn entgeistert an und fragt: „Geht dir denn nie was unter die Haut?“ Es ist ein bewegendes Bild dafür, wie schwer es sein kann, unser Innerstes miteinander zu teilen. Der Film schafft aber Atmosphären der Bedrohung und zwischenmenschlichen Intensität, in denen Tomas‘ innere Zerrissenheit Ausdruck findet. Wenders inszeniert seine Suche nach Vergebung als einen langen Weg der kleinen Schritte, der Augenblicke. Vielleicht hat er deshalb im Filmtitel das „Everything“ (alles) zu „Every Thing“ (jedes Ding) gemacht: Der Sinn unseres Lebens erschließt sich nicht abstrakt, sondern in den Momenten und unserer Antwort darauf. Das Besondere an „Every Thing Will Be Fine“ ist, dass er gleichzeitig vermittelt, wie schwer es sein kann, mit dem eigenen Leben Frieden zu schließen, und wie dieses Leben zu strahlen beginnt, wenn wir es tun.
Kinostart: 2. April
Trailer: www.bit.ly/1NiEOv4