Frage nach dem Wandel: Claudine Villemot-Kienzle

In unserer aktuellen Ausgabe von evolve zum Thema “Politik” stellten wir Menschen, die sich in verschiedenen Bereichen gesellschaftlich engagieren die Frage: Welche Möglichkeiten des politischen Wandels inspirieren Sie? Aus Platzgründen mussten wir einige dieser Antworten etwas kürzen. Villemot-KienzleDeshalb möchten wir diesen Blog nutzen, um einige Antworten in voller Länge wiederzugeben. Wir beginnen mit Claudine Villemot-Kienzle, Co-Gründerin Center for Human Emergence, Deutschland-Österreich-Schweiz, Social Architect, Lehrbeauftragte für Spiral Dynamics integral:

Mich inspiriert eine Ausrichtung des politischen Denkens und Handelns am evolutionären Design. Die Kosmogenese offenbart, dass die Evolution ein Telos hat. Sie strebt zu immer mehr Bewusstsein, Freiheit und synergetischer Ordnung. Dieses durch die Universelle Intelligenz bevorzugte schöpferische Muster berührt alle Bereiche des sozialen Körpers, so auch unsere Regierungsformen. In Westeuropa haben sich Feudalherrschaften, Absolutismus und Demokratie abgelöst. Unsere jetzige Demokratieform hat bislang nicht ihr volles Potenzial realisiert, dennoch adressiert sie Komplexität besser und bietet vergleichsweise mehr Freiheit als andere etablierte Systeme. Was könnte der nächste Schritt sein? Unsere Demokratie ist eine Oppositionsdemokratie, sie stellt eine Vielfalt dar, in welcher die einzelnen Parteien stark mit einem bestimmten Wertesystem identifiziert sind. Diese Anhaftung an eine Weltanschauung führt zu Trennung und Polarisierung: „wir gegen sie“. Viel Energie und Zeit wird auf die Abgrenzung zu anderen verwendet und auf die Betonung dessen, was nicht funktioniert. Damit entsteht eine politische Kultur des Mangels. Das integrale Zeitalter, das sich nach unserer postmodernen Ära anbahnt, bringt eine allumfassende Perspektive mit sich. In diesem Kontext von evolutionärer Entwicklung könnte die Oppositionsdemokratie sich in eine synergetische Demokratie verwandeln. Die Vielfalt der politischen Landschaft bleibt erhalten. Die vorhandenen Ressourcen, Stärken und Potenziale der einzelnen Gruppierungen werden synergetisch gebündelt. Einzelne Interessen finden sich in der Formulierung eines von allen getragenen übergeordneten Ziels wieder, dessen Erreichung allen dient: dem Einzelnen, dem Kollektiv und dem Leben. Kontext- und situationsabhängig werden die Ressourcen aller Parteien in immer neuen funktionalen Verbindungen zur (Auf)Lösung bestimmter Probleme zusammengeführt. Dafür haben wir fast alles, was wir brauchen: Fähigkeiten, Technologien, Wissen, neue Modelle sozialer Architektur, die diese synergetische Konvergenz implementieren können. Was wir noch brauchen ist ein neues politisches Bewusstsein, das auf Integration und das, was funktioniert, fokussiert, das Einheit in der Fragmentierung erkennt, und Co-Kreation als gestalterische Kraft ins Zentrum stellt. Utopie? So wie die Idee der Demokratie in der Ära des Absolutismus in Europa als unerreichbar galt. Unsere globale Krise könnte der evolutionäre Treiber, der den Wandel einleitet, sein.