John Bunzl: Steuer-Oasen? Momentan sind alle Länder Steuer-Oasen

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John Bunzl

Steuer-Oasen? Momentan sind alle Länder Steuer-Oasen

John Bunzl

Übersetzung: Dirk Weller

Steuervermeidung ist nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Sie resultiert daraus, dass nationale Regierungen angesichts einer globalen Wirtschaft in der Wettbewerbsfalle sitzen. Dieser Zustand kann nur durch globale Kooperation überwunden werden. Jeder von uns kann mithelfen, auf globale Kooperation hinzuwirken.

Der Begriff der „Steuer-Oase“ impliziert, dass Orte mit niedrigen oder nicht-existenten Steuersätzen die Ausnahme wären. Es evoziert ein Bild einer Handvoll kleiner, exotischer Insel-Staaten wie der Cayman-Inseln. Aber heutzutage sind eigentlich alle Länder Steuer-Oasen. In dem Ausmaß, indem sie alle danach streben, ihre Steuerpolitik ‚international wettbewerbsfähig‘ zu halten. Also möglichst attraktiv zu sein für internationale Investoren und multinationale Konzerne. Was natürlich Kriminelle und Steuerflüchtlinge einschließt.

„Es überrascht niemanden, wenn ich ihm sage, dass die wichtigste Steuer-Oase der Welt eine Insel ist“, sagt Marshall J. Langer. „Sie sind dann jedoch überrascht, wenn ich ihnen sage, dass der Name dieser Insel Manhattan ist. Nicht nur das, auch die zweitwichtigste Steueroase der Welt liegt auf einer Insel. Es ist eine Stadt namens London auf einer Insel namens Vereinigtes Königreich“.

Es ist wirklich beunruhigend, wie wenig Alternativen die Länder zu einem solchen Handeln haben. In einer Welt des frei fließenden Kapitals, in der Reiche, Kriminelle und multinationale Konzerne ihre Gelder leicht über nationale Grenzen hinweg bewegen können, finden sich Regierungen in einer misslichen Lage: Sie mögen ausbrechen wollen aus dem Teufelskreislauf der Steuerfreiheit, inklusive in ihrem eigenen Land, aber sie wissen, dass Geschäft und Investition immer dahin fließen, wo die Steuern am niedrigsten und die Regulierungen am laxesten sind. Daher kann keine Regierung entschieden gegen Steuervermeidung vorgehen aus Angst, sofort vom Kapitalfluss gemieden zu werden. Die einzige Lösung wäre eine weltweite Steuer-Vereinbarung, mit robusten globalen Mitteln, die Einhaltung der Vereinbarung auch zu gewährleisten. Da sie aber wissen, dass eine solche globale Vereinbarung derzeit sehr unwahrscheinlich ist, bemühen sie sich lieber darum, Kapital in die eigene Steueroase zu locken, bevor es woanders hin geht. Wer seine Bestimmungen im Alleingang verschärft oder die Transparenz im Alleingang erhöht kann derzeit nur verlieren.

Steueroasen sind dabei nur die Spitze eines größeren Eisbergs. Der untere Teil des Eisbergs ist bekannt unter dem Namen „Steuer-Wettbewerb“. Das Netzwerk für Steuergerechtigkeit (Tax Justice Network) betont, dass dieser sogenannte Steuer-Wettbewerb „passender als Steuer-Krieg zu bezeichnen wäre“. Das ist der Vorgang in dem Staaten, Länder oder sogar Städte Steuerkürzungen und Subventionen einsetzen, um Investitionen und Kapital anzuziehen. Reagierend auf Wettbewerbsdruck senken sie Steuern für wohlhabende Individuen und Unternehmen. Den Verlust gleichen sie durch Steuererhöhungen bei ärmeren Segmenten der Gesellschaft wieder aus. Die Ungleichheit steigt. Auf globaler Ebene ist dieser Vorgang ein Rennen Richtung Null, ein Race to the Bottom, und er hat keine positiven Auswirkungen. Es ist immer schmerzhaft, insbesondere für größere Ökonomien. Ebenso wie er die Ungleichheit steigert höhlt er die Demokratie aus, subventioniert unproduktives Gewerbe, vernichtet Arbeitsplätze, indem er Kapital auf Kosten von Arbeitskraft subventioniert, und senkt Produktivität und Wachstum. Steuerkriege schaden allen Ländern – aber sie schmerzen die Entwicklungsländer ganz besonders“. Kann es uns da noch wundern, dass die Kluft zwischen arm und reich immer größer wird, egal, in welchem Land und unter welcher Regierung?

Die traurige Wahrheit ist, dass es sich um ein systemisches Problem handelt – ein klassisches Beispiel für das, was Ökonomen als ein „Problem des gemeinsamen Handelns“ bezeichnen bzw. als „Gefangenendilemma“. Das Problem ist nicht, dass Regierungen der Wille fehlen würde, Steuervermeidung und Steuerflucht zu bekämpfen. Das Problem ist, dass sie nichts dagegen tun können. „Das Problem besteht darin“, erklärt Prof. Will Davies von der London’s Goldsmith’s University, „dass die Erstellung und Umsetzung von Regeln selbst zum Teil des Spiels geworden sind“. Daher ist es das Gefangenendilemma, das im Fokus unserer Aufmerksamkeit stehen sollte.

Doch anstatt solche systemischen Aspekte zu thematisieren, sind wir immer versucht, uns von Persönlichkeiten wie Vladimir Putin, David Cameron oder dem ehemaligen isländischen Premierminister in den Bann ziehen zu lassen. Natürlich ist es richtig, dass das Finanzgebaren dieser Persönlichkeiten aufgeklärt werden sollte. Aber sobald die Fragen beantwortet sind und einige Köpfe gerollt sind, was bleibt? Das globale Netz der Steuer-Oasen und 200 Nationen in einem destruktiven Wettbewerb um leichtfüßige globale Investoren. Wir sollten uns auch nicht viel davon versprechen, Politiker dazu zu bekommen, Steuerrückzahlungen offen zu legen. Steuervermeidung und Steuerflucht werden dadurch nicht sichtbar werden.

Das Gefangenendilemma liegt nicht nur der Steuervermeidung und der Steuerflucht zugrunde, sondern ebenso vielen anderen globalen Problemen. Zum Beispiel Klimawandel. Man fragt sich, wieviel Hoffnung besteht, dass die Nationen ihre Zusagen aus den Pariser Verhandlungen einhalten, wo doch jede Regierung, die mit entschlossenen Schritten CO2-Emissionen einschränkt, damit die Kosten ihrer Wirtschaft erhöhen und somit die Abwanderung von Jobs und Investitionen provozieren – und damit letztlich den Verlust von Wählerstimmen.

Das Dilemma ist das unvermeidliche Resultat einer globalen Wirtschaft, der eine robuste Global Governance fehlt. Kapital fließt frei und global, aber Regulierung endet an den nationalen Grenzen. Ohne umfassende internationale Kooperation wird sich an diesem hinfälligen System nichts zum Besseren ändern. Wir können uns, wenn wir eine gerechte Welt haben möchten, nicht auf Wikileaks und andere Wistleblower verlassen. Nachdem der Hype sich legt, wird das Problem sich nur weiter verschärfen. Es ist Zeit, dass wir alle realisieren, dass internationale Kooperation die einzige Lösung ist. Aber wie?

Vielen erscheinen die Vereinten Nationen, die UNO, als die natürlicherweise zuständige Organisation, wenn es um globale Kooperation geht. Unglücklicherweise hat sie keine Autorität über ihre Mitgliedsländer und daher geringe Chancen, die erforderliche Kooperation zustande zu bringen. Und Bürger haben keinen verbindlichen Weg der Mitgestaltung. Aber es gibt eine Alternative, die zunehmend Aufmerksamkeit gewinnt: Die International Simultaneous Policy Organisation (Simpol). Diese zivilgesellschaftliche Organisation ermutigt Bürger auf der ganzen Welt, ihre Wählerstimmen in ihren nationalen Wahlen auf eine neue Weise zu nutzen, um ihre Politiker, Parteien und schließlich Regierungen in Richtung globaler Kooperation zu bewegen.

Das klingt zunächst vielleicht überambitioniert. Doch in Großbritannien ist es den Unterstützern von Simpol auf diese Weise bei den letzten Wahlen 2015 gelungen, über 600 Kandidaten aller wichtigen Parteien dafür zu gewinnen, ein Versprechen zu unterzeichnen, gemeinsam mit den anderen Regierungen eine robuste Agenda für globale Gerechtigkeit umzusetzen. 29 davon wurden als Abgeordnete ins Parlament gewählt. Bei den letzten Wahlen in Irland wurden 14 Parlamentsmitglieder gewonnen. Die Kampagne verbreitet sich mehr und mehr auch in andere Länder.

Könnte Simpol den Bürgern der Welt eine Lösung für das Gefangenendilemma bieten? Wer weiß. Aber mit Regierungen, die in der Wettbewerbsfalle festsitzen und einer handlungsunfähigen UNO – was haben wir zu verlieren, wenn wir Simpol unterstützen?

John Bunzl ist Gründer der globalen Politik-Initiative „Simpol“ (Simultanpolitik).

Original: 2016-04-12 auf Huffington Post.