Spannungsfelder als Möglichkeit: Eindrücke vom Trigon Symposion in Salzburg

35Spannungsfelder als Möglichkeit
Kreatives Balancieren und Entscheiden in Widersprüchen und Polaritäten

Eine Nachlese zum Trigon Symposion
2. – 4. März in Salzburg

von Anka Vollmann

Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums der Trigon-Entwicklungsberatung fand Anfang März in Salzburg das dreitägige Symposion mit dem Titel „Umgang mit Spannungsfeldern – Kreatives Balancieren und Entscheiden in Widersprüchen und Polaritäten“ statt. Keynote-Speaker waren Trigon-Mitbegründer Friedrich Glasl, Otto Scharmer vom MIT, die integrale Entwicklungsforscherin Susanne Cook-Greuter und Gunther Schmidt, Begründer des hypnosystemischen Integrationsmodelles. Anka Vollmann war mit dabei, fasst die Ergebnisse zusammen und stellt Beobachtungen zu ihren eigenen Spannungsfeldern an.

Multiple Spannungsfelder und Wechselwirkungen zwischen ihnen sind eine Realität. Deshalb ist es eine grundsätzliche Zukunfts-Herausforderung für Individuen, Führungskräfte und politisch Tätige, einen konstruktiven Umgang mit Polaritäten zu entwickeln. Es gibt bereits viele hilfreiche Theorien und Modelle, die den Umgang mit Spannungsfeldern beschreiben, allerdings wird dies oft noch unter einem defizitären Aspekt getan. Das sind die Ausgangsthesen eines Trigon-Forschungsprojektes zum Umgang mit Spannungsfeldern, das als U-Prozess angelegt ist, wobei das Symposion den 3. Schritt, das Presencing, darstellte. Als Endergebnis soll es 2016/2017 eine Buchveröffentlichung geben. Folgende Forschungsfragen leiten das Projekt: Wie kann es gelingen, das Navigieren in Spannungsfeldern als Normalzustand bewusst zu machen und sogar Freude daran zu entwickeln? Wie kann es gelingen, in Spannungsfeldern offen zu sein und gleichzeitig auch klare Standpunkte zu beziehen und zu vertreten?

Friedrich Glasl leitete geschichtlich, kulturell und philosophisch her, dass ohne Polaritäten das Leben nicht möglich wäre. Die Kraft der Polaritäten und die durch sie bedingten Spannungen zu nutzen sei eine wichtige Voraussetzung für das Führen und Gestalten von Organisationen. Entscheidend sei der Sinnbezug, wenn man sich bewusst in ein Spannungsfeld begebe. „Der Sinnbezug ist die Voraussetzung, dass ich eine Entscheidung als befriedigend erlebe“, so Friedrich Glasl.

Otto Scharmer lenkte den Blick auf Polaritäten und soziale Felder. Er sieht in der Kultivierung von sozialen Feldern einen zentralen Aspekt von Management und Führung und stellt die Frage: Wie können wir soziale Felder als Zeitskulpturen verstehen und „von der Zukunft her“ erspüren und anwesend werden lassen? Dabei verweist er auf zwei blinde Flecken, die wir haben: „Zur eigenen Quelle zu gelangen und die gesellschaftliche Transformation.“

Susanne Cook-Greuter verband Polaritäten und Selbst-Entwicklung, wobei allgemeine sowie spezifische Polaritäten der verschiedenen Entwicklungsstufen als Wachstumsimpulse in der Begleitung von Menschen im Fokus standen: „Where the tension is, is where life is.“ Ein weiteres Resümee von ihr: Wir können erstaunlich gut voraussagen, was Menschen auf verschiedenen Stufen am wichtigsten ist, womit sie sich als Thematik beschäftigen, was sie verpönen oder ablehnen und was sie noch gar nicht als Gegenstand ihres Bewusstseinsfeldes registrieren.

Gunther Schmidt beschrieb, wie Multi-Valenzen als Kompetenzen für gelingende Veränderung genutzt werden können. Veränderungen, besonders solche, die von anderen initiiert werden, lösen fast immer Ambi- oder Multi-Valenzen aus. Bezieht man diese als Ausdruck von Bedürfnissen ein, kann aufbauend auf die „Riesen der Vergangenheit“ eine kraftgebende, motivierende Stimmigkeit für die Gestaltung der Zukunft (als Zwerg auf den Schultern der Riesen) erreicht werden. „Symptome sind wertvolle kompetente Feedbackschleifen aus nicht beachteten Teilen des Systems. Das gilt für Individuen wie auch für Organisationen.“, so Gunther Schmidt.

In zwei Workshop-Sequenzen mit jeweils acht parallel stattfindenden Workshops wurde die Thematik vertieft, es wurden verschiedene Methoden und Modelle vorgestellt und praktisch erlebbar gemacht. Dabei wurde deutlich, wie die Verbindung der unterschiedlichen Ansätze und Methoden – wie z. B. Meditation, Aufstellung, Wertequadrat, das Modell der „Polarity-Balance“ oder die integrale Perspektive – zu einem konstruktiven Umgang mit Polaritäten und Spannungsfeldern beiträgt.

Insgesamt als hilfreich für den Umgang mit Spannungsfeldern und Polaritäten wurden benannt:
Allgemein: Nicht-Wertung fundamentaler Gegensätze; die Kraft des Nichtgewählten ins Gewählte fließen lassen; Grundhaltung des Forschens und Untersuchens einnehmen; über den eigenen Schatten springen; Kooperation; Leichtigkeit; Freude; den Mut haben, uns in unserem Tun manchmal auch lächerlich zu machen; Beispiele liefern; Zeit.
Persönlich: Meine inneren Polaritäten erkennen und konkret benennen; Bewegung in Kopf und Körper; Signale des Körpers beachten; Loszulassen; Vertrauen in mich als Geist-Seele-Körper-Wesen; Denken mit dem Fühlen verbinden, Unabhängigkeit von Verpflichtungs- und Schuldgefühlen; Überprüfen: Kann ich meinen eigenen Ansprüchen gerecht werden?
Organisational und gesellschaftlich: Fehler machen können und Verantwortung dafür übernehmen; klare und durchlässige Strukturen; flache Hierarchien; offene Diskussions- und Konfliktkultur; Arbeiten im Team; Arbeiten in Netzwerken; „Wir sind eine Welt“; interdisziplinäres Arbeiten; mit Beteiligten Lösungen zu erarbeiten, die an Bedürfnissen orientiert sind; Neudefinition vom Wert der Arbeit und der Bildung.

Diese „Maximen“ haben mir sehr geholfen, das Symposion zu genießen und mich bereichern zu lassen von den Keynotes, den Murmelgruppen (Kleingruppen), den Workshops, den Gesprächen.

Gleich am ersten Abend bei der Trigon-Jubiläumsfeier sprach Fritz Glasl, einer der sieben Trigon Gründer (es waren sieben Männer), ein Spannungsfeld an, das während der gesamten Veranstaltung für mich überdeutlich war: Das Spannungsfeld zwischen der Präsenz von Männern und der Präsenz von Frauen auf dem Podium. Es waren – bis auf Susanne Cook-Greuter – Männer, die die Keynotes hielten. Es waren Männer, die die Präsenz auf der Bühne, bei den anschließenden Fragen und in den Workshops hatten. Es waren in der Mehrzahl Männer, die die Workshops hielten. Und die Preview der Rohfassung des von Rudi Ballreich ko-produzierten Filmes „From Business To Being“ war, wie eine Zuschauerin kritisch bemerkte, ein „Film von Männern über Männer für Männer“.

Wo also bleiben wir Frauen? Warum zeigen wir nicht mehr Gesicht, mehr Präsenz? Und wie gehe ich als Frau damit um? Was trage ich dazu bei, dass wir Frauen präsenter werden? Diese Fragen drängen sich wieder und wieder auf, obwohl es zahlreiche Studien und Abhandlungen, wissenschaftliche Forschungen, Bücher, ganze Studiengänge darüber gibt. Doch ich halte es für wichtig, diese Fragen zu stellen, sie immer wieder zu stellen, sie hineinzutragen in „unsere“ Frauenkreise, in die gemischten Kreise, in die Männerkreise.
Sicherlich besteht ein Unterschied zwischen dem tatsächlichen Wirken und Arbeiten von Frauen und der Sichtbarmachung dessen in einer von Männern dominierten Medien-, Politik- und Wirtschaftswelt. Doch auch das gilt es, sichtbar zu machen und zu hinterfragen.

Ein inspirierendes Beispiel in dieser Hinsicht ist die Trigon-Geschäftsführung Trude Kalcher. Sie wurde bei der Trigon-Jubiläumsfeier für ihre Geschäftsführung ebenso wertgeschätzt und anerkannt, wie für ihre inhaltliche Arbeit.

Wie also gehe ich mit solchen und anderen Spannungsfeldern um, die unvermeidlich sind im Prozess sozialer Veränderung? Was habe ich dazu auf dem Symposion gelernt?

Spannungsfelder wahrnehmen, halten, bewusst machen – und dann handeln. Meditation gepaart mit Aktion. Gemeinsam – Männer und Frauen – das „U“ im U-Prozess zu durchschreiten, um daraus das Neue in die Welt zu bringen. Und Innovationsräume zu schaffen, in denen das Neue wachsen kann.

 

Anka Vollmann ist Kommunikationswissenschaftlerin und PR-Beraterin, u. a. auch für evolve.