Thomas Nagel – “Geist und Kosmos” – Teil 1 – von Mike Kauschke

 

geist-und-kosmos-coverDas Buch “Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist” des Philosophen Thomas Nagel hat in letzter Zeit viel Aufmerksamkeit erregt, hinterfragt Nagel darin doch die Grundlagen des wissenschaftlich-materialistischen Weltbildes. Auch in unserer Redaktion sind einige Diskussionsbeiträge zu Nagels Argumenten eingegangen, die wir hier nach und nach veröffentlichen werden. Wir beginnen aber mit dem kurzen Beitrag zum Buch, den wir in der ersten Ausgabe von evolve veröffentlichten und der sich vor allem mit dem erstaunlichen positiven Medienecho in Deutschland beschäftigt. (Teil 2: Dilemma eines modernen Denkers von Oliver Griebel; Teil 3: Ein „post-szientistisches Zeitalter“? von Axel Ziemke)

Endlich sagt das mal jemand

Mike Kauschke

Es gibt Bücher, die sind ein Ereignis. Das neue Buch des amerikanischen Philosophen Thomas Nagel ist so eines. Der Titel deutet es schon an: “Geist und Kosmos: Warum die materialistische neodarwinistische Konzeption der Natur so gut wie sicher falsch ist”. Also Nagel geht aufs Ganze unserer etablierten Sicht der Welt und er ist kein No-Name, sondern einer der anerkanntesten Philosophen der USA. Dort wurden nach Erscheinen seines Buches sofort schwere Geschütze aufgefahren. Der Evolutionspsychologe Steven Pinker nannte es „eine schlampige Argumentation eines einst großen Denkers“. Der britische Philosoph Simon Blackburn dachte gleich mal über den Sinn von Zensur nach, um solche Bücher in Zukunft zu verbieten: „Wenn es einen philosophischen Vatikan gäbe, wäre das Buch ein guter Kandidat dafür, auf dem Index zu landen.“
Tatsächlich hinterfragt Thomas Nagel in seinem Buch die Grundsätze des heutigen Materialismus, nach dem alle geistigen Prozesse auf materielle, physikalische Prozesse zurückzuführen seien. Thomas Nagel untersucht diese Grundlagen vom philosophischen Standpunkt aus und macht klar, dass er keine religiös inspirierte Alternative geben möchte. In der Tat gibt er überhaupt keine, sondern lädt den Leser auf eine Denkreise, ein philosophisches Fragen ein. Im Zentrum dieses Fragens steht das wissenschaftliche Verständnis der Evolution und wie wir uns erklären können, dass in einem natürlichen Prozess etwas wie Bewusstsein entstehen konnte. Nagel ist sich sicher, dass rein naturwissenschaftliche Erklärungen hier nicht ausreichen, und spricht von einer „kosmischen Prädisposition der Entstehung von Leben, Bewusstsein und den Werten, die sich davon nicht trennen lassen“. In irgendeiner Weise muss dem Kosmos etwas inhärent sein, dass ihn dazu tendieren lässt, in seiner Entfaltung Bewusstsein zu erzeugen. Wow! Es kommt noch besser: Nagel mutmaßt, dass „das Universum allmählich erwacht und sich seiner selbst bewusst wird“.
Interessant an Nagels Buch ist aber nicht nur das Buch selbst, sondern auch die Reaktion darauf bei der deutschen Veröffentlichung. Auffällig ist, dass sich die meisten Kommentatoren auf Nagels Seite stellen. Bei vielen Autoren hat man fast das Gefühl, als atmeten sie hörbar auf: Endlich sagt das mal jemand! Zu sehr wird die intellektuelle Debatte von einer Materialismus-Gläubigkeit überschattet, die oft kaum mehr Raum zum Atmen gibt.
Da ruft “Die Zeit” gleich in der Überschrift aus: „Wann hat es das zuletzt gegeben? Mit seinem fulminanten Buch ‚Geist und Kosmos‘ attackiert der Philosoph Thomas Nagel das Weltbild der Naturwissenschaften.“ Die “TAZ” kommentiert angesichts der Zensurfantasien von Blackburn: „Vom freien Austausch unterschiedlicher Argumente im gemeinsamen Streben nach Wahrheit ist ein solcher Wunsch sehr weit entfernt.“ Im Deutschlandradio heißt es: „Da tut ein Buch wie ‚Geist und Kosmos‘ richtig gut. Es stößt den Leser aus seiner Komfortzone und zwingt ihn nachzudenken, ob die Naturwissenschaft wirklich der Königsweg zur Erklärung der Welt ist.“ Selbst das Spektrum der Wissenschaften sieht Nagels Fragen zur Evolutionstheorie wohlwollend: „Der Streit um die Evolutionstheorie wird oft mit unerbittlicher Härte und ideologischer Verbohrtheit geführt. Umso erfreulicher ist es, dass Thomas Nagel mit ‚Geist und Kosmos‘ ein völlig unideologisches Buch geschrieben hat, in dem er nüchtern die Problematik analysiert und gänzlich auf Polemik verzichtet.“
Angesichts dieser unterstützenden, differenzierten Stimmen scheint sich die Hoffnung der FAZ zu erfüllen: „Bleibt zu hoffen, dass man dieses Buch hierzulande besser als in den Vereinigten Staaten verstehen wird, da wir noch das angemessene Wort einer Geisteswissenschaft haben, die weiß, dass Wert und Wahrheit im Zentrum der menschlichen Lebensform stehen.“ Und es macht Hoffnung, dass die Diskussion über das Wesen des Kosmos und unser Menschsein darin nach diesem Buch offener geführt wird. Ja, manche Bücher sind ein Ereignis.

 

Mike Kauschke ist leitender Redakteur von evolve.