Leserstimmen evolve 09

Der Artikel »Bewusstsein im Tod« von Anna-Katharina Dehmelt in der evolve 08 hat mich sehr berührt und mir einige Erlebnisse erklärt, wo ich den Eindruck der »offenen Tür, durch die ein Windzug weht« hatte. Vielen Dank dafür.

Lucia Alekna-Hansen
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Ich bin langjährige und begeisterte Leserin von evolve. In den letzten Ausgaben bewunderte ich die Integration von Kunstwerken in die Texte und las mit großem Interesse die Interviews der Künstler. Vor allem die Arbeiten von Stephan Guber in der letzten Ausgabe, ihre so passende Zuordnung und Einbindung in die Texte fand ich großartig, da sie das Thema »Intimität« in einer ganz besonderen Art und Weise vertieften und bildlich vieles verstärkten.
 
Stephanie Moos
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Nun habe ich die 9. Ausgabe von evolve bekommen und wiederum sind sehr wertvolle Artikel und inspirierende Ideen darin zu finden. Doch leider fehlt etwas, das meines Erachtens auch hierher gehört. Nähe, Intimität gibt es hier nur zwischen Mensch und Mensch, oder Mensch und Gott, oder »die Nähe zur Welt« (S. 35), oder den »Nähe-Raum zwischen zwei Menschen« (S. 37), oder »Resonanz mit dem Kosmos«.
Leider war auch im Beitrag, der im Titel »Kunst der Nähe« und im Untertitel »Unterwegs zu einer Kultur des Herzens« heißt (S. 34), das Thema Nähe mit anderen Lebewesen auf diesem Planeten kein Thema. Wo endet die Kultur des Herzens?
Dass Menschen auch eine nahe, ja eine intime Beziehung zu einem Baum, einer Pflanze haben können, ist lange bekannt und wertvoll. Noch bedeutsamer ist Nähe zu den Tieren, besser den Tierwesen.
Durch eine Besinnung auf die Qualität unserer Beziehung zu den Tieren könnten wir erkennen, dass wir schön über Intimität und Nähe schreiben können und doch gleichzeitig, vielleicht ohne es zu bemerken, im anthropozentrischen Denken und Fühlen verhaftet sind!
Man kann dies auch eine »Anthropologie mit dem Rücken zum Tier« (Rainer Hagencord) nennen, bzw. eine Spiritualität oder ein Bewusstsein mit dem Rücken zum Tier.
Der springende Punkt ist die bedeutungsvolle Qualität der Achtsamkeit, die darin liegt, dass es genügen würde, einem Tier  wirklich zu begegnen, ohne die Spezies-Schranke im Kopf zu haben, also von Lebewesen zu Lebewesen, um den Tötungsgedanken aufzulösen. Und das gegenüber allen Tieren. Die Kraft der Achtsamkeit enthält natürlicherweise auch Mitgefühl.
Also das Thema dieses Heftes: Begegnung, die Nähe und Intimität erlebbar machen kann.
Wenn sich unsere Beziehung zu den Tieren nicht grundlegend verändert, bleiben unsere Anliegen für Nähe und Intimität unvollendet und ego-zentriert. Und wenn sie sich ändert, wird dies ein großes Geschenk auch für die Menschen sein, die dies zu erleben vermögen.
Wenn das Mitgefühl am Tellerrand endet, sind wir Tieren noch nicht wirklich begegnet, außer vielleicht unserem Haustier.
Eine Yogalehrerin sagte mir neulich, dass das oberste Gebot im Yoga »Gewaltlosigkeit« sei. Und Thich Nhat Hanh beschreibt fünf Übungen der Achtsamkeit, wovon die erste ebenfalls die Gewaltlosigkeit ist. Yoga boomt, Achtsamkeit boomt und … Gewaltlosigkeit?
Vielleicht ist es kein Zufall, dass dort, wo von Anfang an Gewaltlosigkeit gelehrt und gelebt wurde – auch den Tieren gegenüber – die Wiege der Spiritualität steht: im Osten.

Ich empfinde dieses Thema als sehr bedeutsam. Und das hat auch etwas mit meinem Beruf als Ausbilder von Meditationslehrern zu tun. Denn eine Vertiefung und Erweiterung des Bewusstseins, zu der Meditation einen, wenn nicht den wesentlichen Beitrag leistet, schließt die Entfaltung von Intimität und Nähe sowie eines echten Mitgefühls ein, das über die Spezies-Grenze hinauswächst.

Eckhart Wunderle
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