Barbara Marx Hubbard: Unsere planetare Krise ist die Geburt einer universellen Menschheit

screenshot_2667Ein Interview mit Barbara Marx Hubbard über unsere post-irdische Zukunft und die neue „Gestalt“ der menschlichen Spezies

Der Traum der Besiedelung des Weltraums ist alt und eine unerschöpfliche Quelle der Science-Fiction. Aber jenseits von Star Wars und Raumschiff Enterprise hat die Menschheit reale Schritte über die Erde hinaus getan. Die Zukunftsforscherin Barbara Marx Hubbard ist überzeugt, dass hier mehr geschieht als ein Techno-Abenteuer, für sie liegt unsere Zukunft auch (weit) jenseits des Blauen Planeten. EnlightenNext Impulse sprach mit ihr über die spirituellen Implikationen unseres Dranges, über Grenzen hinauszugehen.

ELIZABETH DEBOLD: Sie sind als eine Vordenkerin einer evolutionären Spiritualität bekannt. Wie sehen Sie die Zukunft der Menschheit im Kontext unserer kosmischen Entfaltung?

BARBARA MARX HUBBARD: Wenn wir die Muster der Milliarden von Jahren betrachten, sehen wir eine Zunahme von Bewusstsein und Freiheit hin zu einer komplexeren Ordnung, von der Zelle zum multizellulären Organismus zum Tier und zum Menschen. Ich wundere mich immer wieder darüber, dass viele Menschen diese vierzehn Millionen Jahre der Evolution betrachten und keinen Fortschritt sehen können. Aber die Evolution selbst ist Ausdruck eines großen schöpferischen Prozesses, der immer Grenzen transzendiert. Im Menschen sehen wir ein Gewahrsein von Ausrichtung, eine vorwärtsschreitende Evolution der Intelligenz, des Bewusstseins, der Freiheit und der Fähigkeiten. Und nun wird der Mensch Teil einer planetarischen Komplexität, welche die nächste Stufe darstellt.
Heute wird auf der Erde der Mensch als universelle Spezies geboren, die auch die Grenzen der Erde überschreitet.

ELIZABETH DEBOLD: Was genau meinen Sie damit?

Krise als Entwicklung

BARBARA MARX HUBBARD: Wenn wir die derzeitige Krise überstehen, werden wir uns zu einer neuen Spezies entwickeln können. Wir werden feststellen, dass die Umweltbewegung und das Gefühl der Begrenztheit auf dieser Erde ein notwendiges Druckmittel für uns darstellen, um die Überbevölkerung hier zu stoppen und durch gemeinsame Anstrengungen den Weltraum zu erforschen. Natürlich müssen wir die Erde bewahren und die grundlegenden ökologischen Umweltprobleme lösen. Wir werden aber auch das Sonnensystem erkunden und besiedeln, wo es Ressourcen von Energie, Rohstoffen und Raum gibt, die jenseits unserer Vorstellung liegen. Wir werden nicht länger eine erdbezogene Spezies sein.

Als wir uns selbst auf dem Mond landen sahen, waren wir Erdenmenschen, die auf einer neuen Welt landeten – wir wurden physisch universell. Das ist keine metaphysische Idee. Ich lernte Wernher von Braun und die Erbauer des Space Shuttles kennen und freundete mich mit ihnen an. Sie meinten – und ich schließe mich ihrer Meinung an – dass wir die ganze Hochtechnologie – nicht nur die Raumfahrttechnologie, sondern auch Biotechnologie, Nanotechnologie und die nicht-humane Intelligenz – nicht ausschließlich zum Gebrauch in der Biosphäre entwickelt haben; in der Tat werden sie uns vermutlich zerstören, wenn wir in der Biosphäre bleiben. Aber diese Technologien sind die organischen Funktionen einer universellen Spezies, die innerhalb einer Biosphäre erlernt werden müssen. Es ist aber eine Tatsache, dass wir nicht in der Biosphäre bleiben. Das Ziel der NASA, das von der Leitung der NASA festgelegt wurde, ist die Bildung der ersten menschlichen Siedlung auf dem Mond, die ihre eigene Energie generieren kann und den Prozess der Besiedlung des Sonnensystems beginnt.

Es gibt ein sehr interessantes Buch von William Sauber, das ich vor einigen Jahren gelesen habe: The Forth Kingdom. Er dachte, dass die Menschheit die Technologie aus dem Grund entwickelte, um das Erdenleben nicht nur auf diesem Planeten, sondern darüber hinaus im Sonnensystem und im Universum zu reproduzieren. Er dachte, dass das Universum lebensorientiert sei, lebensfreundlich, und dass diese Lebensfreundlichkeit nun in unseren Händen sei, um einerseits hier auf der Erde unser Gleichgewicht zu wahren und außerdem das bewusste Leben über den Planeten hinaus zu tragen. Ich meine, dass dieser Druck der Umweltverschmutzung und Überbevölkerung, der Massenvernichtungswaffen etc. sogar ein notwendiger Evolutionsantrieb ist, um uns aus dem Eingebettetsein im individuellen Bewusstsein und aus der Gebundenheit an diesen Planeten zu erwecken. Denn der Sinn der Evolution ist, das Leben über die Erde hinaus in das Universum auszudehnen.

James Gardner stellte die Hypothese auf, dass das Leben bewusstes Leben erschafft, zuerst auf der Erde, dann im Sonnensystem und darüber hinaus, bis das ganze Universum bewusst wird. Tatsächlich ist der Sinn des Lebens, Materie in Bewusstsein zu verwandeln. Ich finde diese Vision einfach wunderschön.
Ich kenne viele Wissenschaftler, die dies glauben, obgleich sie meine spirituelle Erfahrung nicht teilen, wie zum Beispiel Gregory Stock. Er ist eine wunderbare Persönlichkeit und hat viel über das Thema der biologischen Evolution geschrieben. Er sagt, dass die Noosphäre ein Superorganismus geworden ist, der nicht nur aus Bewusstsein und Sprache besteht, sondern auch aus all unseren technischen Systemen. Wenn man die Noosphäre als lebenden Organismus sieht, wäre ihre Kraft in der Lage, nicht nur alle irdischen Probleme zu lösen, sondern sie könnte das bisherige Menschsein transzendieren.

Ich glaube, dass der Homo sapiens sapiens eine Übergangsform ist, von der unbewussten hin zur bewussten Evolution, und es ist für jede Spezies ein riesiger Sprung, diesen Prozess zu durchlaufen. In diesem Sinne gibt es keine andere Spezies, die diese besondere Bürde oder Gelegenheit hat – soweit wir wissen. Es geht also nicht darum, besser zu sein als die Bakterien oder die Tiere oder das Gewebe des Lebens. Vielmehr haben wir Menschen eine grundlegende Aufgabe in der Ausbreitung des Bewusstseins sowohl auf der Erde wie im Universum.

Ich denke auf eine bestimmte Art haben die Transhumanisten ein gutes Argument, denn warum sollte die biologische Evolution hier aufhören? Wozu sollten wir das Wissen über die Struktur und Funktion der DNA und all diese erstaunlich radikalen Technologien erlangt haben, wenn nicht deshalb, um zu einer neuen Spezies zu werden?

Die Seele der Evolution

ELIZABETH DEBOLD: Wie unterscheidet sich Ihre Sichtweise von jener der Transhumanisten?

BARBARA MARX HUBBARD: Sie haben nicht die transzendente Erfahrung der bewussten Absicht als ihre innewohnende Motivation. Ich habe gerade einen Artikel für eine Konferenz geschrieben, in welchem ich den Satz prägte: „Evolutionäre Spiritualität – die Seele der Evolution“. Die Seele der Evolution wird erfahren als unsere subjektive Beziehung zu einer göttlichen Absicht, die als unsere Eigene erscheint. Es handelt sich um die Inkarnation des Prozesses der Schöpfung als unser innewohnender Sinn und unsere tiefste Absicht, mit denen ich mich persönlich verbunden fühle. Das ist kein persönlicher Gott, aber es ist Ehrfurcht gebietend, göttlich intelligent. Denn je mehr ich fähig bin, mich auf meine innere Motivation einzulassen, teilzunehmen, mich zu entfalten und zu verbinden, desto mehr bin ich in Berührung mit einer größeren Kraft, mit der höheren Macht.

ELIZABETH DEBOLD: Sie sagen, dass die tiefste Motivation der Evolution im Bewusstsein wirkt.

BARBARA MARX HUBBARD: Ja, absolut! Es wirkt in dieser Dimension des Bewusstseins. Aber ich denke, wir müssen die radikalen technologischen Fähigkeiten mit der Erweiterung des Bewusstseins, des Mitgefühls und der Verantwortlichkeit für diesen Planeten verbinden. Wenn wir es als unser Ziel erkennen, eine universelle Spezies zu werden – wenn also nicht nur die Nachhaltigkeit auf der Erde unser Ziel ist –, dann haben wir plötzlich eine neue Geschichte, die den Sinn dieser neuen Kräfte erschließt.
Eines der Ziele meines Lebens ist, dass ich ein Meme oder eine Idee in unser Bewusstsein einprägen möchte: Unsere planetare Krise ist die Geburt einer universellen Menschheit. Das bedeutet nicht, dass wir notwendigerweise all diese Technologien nutzen werden, aber wir werden sie danach bewerten, inwiefern sie uns helfen, eine universelle Spezies zu werden. Wir werden nicht mehr allein das Leben auf der Erde bewahren oder erhalten, denn das ist nicht genug. Das ist nicht der Lauf der Natur.

ELIZABETH DEBOLD: Was meinen Sie?

BARBARA MARX HUBBARD: Die Natur erhält nicht nur, sie transzendiert!

Ein planetarer Körper

ELIZABETH DEBOLD: Was Sie jetzt sagen ist sehr faszinierend! Die meisten Menschen, die zu einer Sicht des Bewusstseins neigen, halten die Technologien und die Menschen, die damit arbeiten, auf Abstand – und anders herum ist es genauso. Ich sehe es in meiner eigenen Erfahrung: Da gibt es eine Angst, dass unsere Technologie unsere moralischen, ethischen und spirituellen Fähigkeiten überholt hat. Unsere Fähigkeit, Schaden anzurichten, hat unsere Verbundenheit mit dem Ganzen und unsere Fürsorge für den Universalismus, von dem Sie sprechen, übertrumpft.

BARBARA MARX HUBBARD: Ja, das ist wahr. Und dafür gibt es viele Gründe: Ein Grund ist, dass diese Technologien so radikal neu sind! Wir können in keiner Schrift der Welt lesen, wie wir uns in Bezug auf Stammzellenforschung, Besiedelung des Weltraums, Klonen oder Quantencomputer verhalten sollen.screenshot_2669 Aufgrund ihrer Intelligenz hat die menschliche Spezies radikal neue Kräfte erlangt, die nicht in unseren Philosophien, unseren religiösen Texten und politischen Lexika erwähnt werden.

Die Menschheit steht vor etwas Neuem. In den wenigen erweiterten Erfahrungen, die ich erlebt habe, sah ich einen planetaren Körper, der versuchte, sich als Ganzes zu koordinieren und sich ins Universum hinaus auszubreiten, um neues Leben zu schaffen. Ich sah es als eine planetarische Geburt – ich spürte, dass ich eine Teilhabende am planetaren Körper bin, der sich als ein Ganzes integriert, sich um Koordination seiner vielen Teile bemüht und versucht, sich über die Illusion der Getrenntheit hinaus zu entwickeln, um zu einem ko-kreativen Wesen von universellem Ausmaß zu werden.

Wenn wir nun die „Gestalt“ des erweiternden Bewusstseins, der Revolution in der Biologie, der Revolution der Raumfahrt und der Informationsrevolution zusammennehmen, dann wird alles zu einem harmonischen Ganzen: Wir sehen eine universelle Spezies. Und ich hatte Erfahrungen, in denen ich uns als diese neue Menschheit sah. Mich hat der seltsame Attraktor dieser neuen Spezies immer angezogen, für mich wurde die Geburt dieses neuen Wesens zu einer bewussten Möglichkeit. Und ich fand dies in keinem spirituellen Text, ich habe es nicht in der transpersonalen Psychologie gefunden und ich sehe es auch nicht bei den Forschern, die mit diesen Technologien arbeiten. Es ist eine neue „Gestalt“.

 

Video: Barbara Marx Hubbard im Interview: www.bit.ly/dqSadU