Wie wir werden, wer wir sind – Buchbesprechung

von Helmut Bölling

In seinem sehr unterhaltsam geschriebenen, auf neueste neurologische Forschungsergebnisse aufbauenden Buch entwickelt der Neurowissenschaftler und Psychotherapeut Joachim Bauer eine Resonanztheorie, nach der unser menschlicher Werdegang vor allem durch die Einflussnahme des Du geprägt wird. Die Gene, wie auch die in den 60er Jahren stark betonten gesellschaftlichen Verhältnisse, treten dabei für ihn in der Bedeutung etwas zurück. Sehr schön stellt er auf S. 173 das Zusammenspiel der Einflussfaktoren dar: „Gene sind eine Klaviatur, die von Einflussfaktoren bespielt wird, die ihren Ausgangspunkt in der Umwelt haben.“ Um dann aber fortzufahren: „Einen besonders starken und wissenschaftlich eindeutig nachweisbaren Einfluss auf das Gehirn hat dabei das, was ein Mensch in seinem sozialen Umfeld erlebt hat, getan hat und tut.“
Werfen wir mit dem Autor einen Blick auf das Kindesalter: Wie fast wörtlich Buber – auf den er sich neben Nietzsche oft bezieht – Recht haben könnte, wenn er vom singulären besser: einzelnen Du an zentraler Stelle spricht, zeigt sich in Bauers Empfehlung, in der Früherziehung viele 1:1-Situationen zu schaffen. Dabei sieht er die Kindergärten und –krippen personell etwas schwerer dazu in der Lage- ohne in eine Verklärung der rein häuslichen Erziehung in der Ein- oder Zweikinderfamilie zu verfallen.
Die angenehme Lesbarkeit des Buches wird sicherlich –außer durch den lockeren Sprachstil- auch dadurch gefördert, dass er Querverbindungen zu psychologischen Faktoren bei bekannten Roman-Gestalten herstellt. Dies führt sein Buch weiter aus dem Fluidum eines allzu „grau-sachlichen“ Werks heraus. Da kommt beim Lesen wirklich keine Langeweile auf!
Eine weitere Duftmarke für das Weltbild des Autors erfolgt dann in seiner vorsichtigen Bejahung des Schillerschen Satzes „Es ist der Geist, der sich den Körper baut“. Durchaus in diese Linie einzufügen meint der Wissenschaftler, der auch als Allgemein-Arzt tätig ist: „Ein guter Arzt wird es immer vermögen, den inneren Arzt im Patienten anzusprechen und zu stärken“. Die verschiedenen Hinweise, wie die daraus sich als Ziel ergebende Selbstfürsorge am besten gelingen kann, wollen u.a. die Entwicklung zu jenen brüchigen und unsicheren Persönlichkeiten vermeiden, die dann oft geneigt sind, selbst psychisch sehr fragwürdigen Führerpersönlichkeiten zu folgen. Überhaupt sieht er in der Abgabe von Persönlichkeitsteilen an andere –oft bewunderte- Menschen auf dem Lebensgang, zunächst eine Gefahr. Die behutsame Integration von (nach genauer Prüfung) als übertragbar erscheinenden Eigenschaften und Erkenntnissen des Anderen in die eigene Lebenskonzeption sei das Ziel. Das sehr aktuelle Thema der interkulturellen Begegnung streift er mit dem Grundsatz, vor allem Beschreibungen und Haltungen aus der anderen Kultur sprechen zu lassen. Heutzutage schaue man gemeinhin doch eher aus der eigenen Kultur heraus auf die andere. Insgesamt erscheint mir das Werk als ein geeignetes Buch, sowohl Menschen in Umbruchssituationen zu begleiten als auch kulturpolitisch Verantwortlichen Leitgedanken zu geben, das Menschenbild stärker im Buberschen Geiste geprägt zu sehen: Wir werden eben wohl doch erst im pulsierenden Wechselspiel mit dem Du zum Ich. Dies alles ist für den Yoga und Meditation intensiv praktizierenden Autor mit einem spirituell zu nennenden Grundtenor verbunden.