Für eine Politik mit Herz und Vision

Wie Susanne Baumann zur Verbindung von spirituellem Leben und gesellschaftlicher Transformation fand

Mike Kauschke

Als ich vor einiger Zeit Susanne Baumann in Zürich traf, begegnete mir eine wache, interessierte Frau, die begeistert und klar über ihre Vision einer neuen Schweiz sprach. Als Nationalratskandidatin der Partei Integrale Politik hat sie sich mitten hinein begeben in die politische Auseinandersetzung. Dabei bewegt sie der Wunsch, einen neuen politischen Dialog zu fördern, der unser ganzes Menschsein mit Körper, Geist und Seele sowie unsere kollektive Intelligenz berücksichtigt. Ihr langer Weg zu diesem Engagement war auch durch schmerzhaftes Scheitern geprägt und führte sie durch viele Metamorphosen.
Susanne Baumann ist in einem gutbürgerlichen Haus aufgewachsen und genoss eine privilegierte Bildung. Sie studierte Internationale Beziehungen und Wirtschaft in St. Gallen und begann eine erfolgreiche Karriere als Unternehmensberaterin. Aber, so erklärt sie, dieser Weg war vor allem auch durch ihre Herkunft vorgezeichnet und gab wenig Raum, selbst herauszufinden, was sie in diesem Leben sein und tun wollte. »Meine Eltern und die Gesellschaft waren begeistert von meinem Weg, aber ich habe immer mehr gemerkt, dass mich das gar nicht richtig erfüllt.« Als Unternehmensberaterin war sie erfolgreich, spürte aber, dass sie in der Welt nichts essenzielles bewirkte. »Ich betreute einmal ein ganzes Jahr eine Bank und alle Ziele des Projekts wurden erreicht. Aber meine Ansprechpartner in der Bank waren deshalb nicht glücklicher oder erfüllter, sie hatten einfach mehr Geld und Prestige. Auch ich bekam einen Bonus, aber ich war auch nicht erfüllter und es entstand nicht viel Positives für die Welt.«
Diese Erkenntnis stürzte sie in eine tiefe Krise, weil sie den Sinn in ihrer Arbeit und ihrem beschäftigten Leben nicht sehen konnte. Mit 27 Jahren dachte sie oft am Morgen: »Oft dachte ich am Morgen, dass es besser wäre, jetzt unter die Tram zukommen, als zur Arbeit zu gehen.« Schließlich wagte sie einen radikalen Schritt und stieg aus diesem Leben aus, um sich ein halbes Jahr Zeit zu geben, dem Sinn ihres Lebens nachzugehen.
Susanne Baumann ging nach Indien in ein Kloster, um sich mit Yoga zu befassen. Für sie war es eine Begegnung mit einer ganz anderen Welt und Denkweise. »In verschiedener Hinsicht bin ich auf ein völlig neues Selbstbild getroffen. Ich verstand eigentlich nichts. Meine erste Meditation übte ich in einem dunklen Keller auf dem Steinboden, eine Stunde in der Stille. Ich hatte noch nie meditiert, es war der reine Horror. Und auch sonst wurden ständig meine Glaubenssysteme durchbrochen.« Eine Yogaausbildung brachte sie in Kontakt mit dem eigenen Körper und der eigenen Seele und zum ersten Mal spürte sie das Aufblitzen eines tieferen Sinns.
Zurück in der Schweiz ging sie zunächst wieder in die Unternehmensberatung. Aber die Spannung stieg, weil sie ein neues Leben kennengelernt hatte. So verließ sie diese Arbeit nach zwei Jahren und widmete sich in den folgenden zwölf Jahren dem Yoga und der Meditation. Sie gründete ein Yogastudio in Zürich und gab Yoga- und Mediationskurse in Unternehmen und in Schullagern. Auch durch ihr unternehmerisches Geschick wurde die Yogaschule zu einer Organisation mit über 10 Mitarbeitern.
Aber auch hier kam sie an einen Punkt, wo sich ein neuer Sinn zeigen wollte. Sie spürte in sich viele Energien, die durch die intensive Meditations- und Yogapraxis aktiviert worden waren und wollte sich Zeit nehmen, diese erwachenden Wahrnehmungen zu erforschen und herauszufinden, was dies für ihr Leben bedeutete. Sie verkaufte ihre Yogaschule ging bin ein halbes Jahr für ein Solo-Retreat in die Berge. Sie meditierte und forschte, erlebte aber schließlich auch eine spirituelle Krise. Durch die zehn Jahre Yogapraxis hoffte sie auf die Erfahrung der Erleuchtung, wie sie in östlichen Lehren beschrieben wird, musste aber langsam feststellen, dass dieses Erlebnis nicht eintraf. Jedenfalls nicht so, wie sie es sich vorstellte. »Das war noch einmal wie eine ganz tiefe Niederlage in meinem Leben, weil ich mich auf diesem spirituellen Weg so angestrengt und dieses Ziel der Erleuchtung nicht erreicht hatte. Aber dadurch gab es in mir eine tiefere Hingabe, ein Loslassen, eine größere Öffnung, in der ich einen Ruf spürte: Meine Aufgabe ist nicht, abgeschieden in einer Hütte zu leben. Eine ganz klare Stimme und eindeutige Bilder zeigten mir, dass ich zurück in die Wirtschaft muss.« Sie spürte auch, was sie in der Wirtschaft bewirken könnte. Mit diesem Gefühl ging sie zurück in die Welt, die sie vor vielen Jahren verlassen hatte.
Als Erstes stellte sie eine Gruppe namens »Inspiration Unlimited«“ zusammen. Sie bestand aus Menschen, die viele Jahre meditiert und eine sehr gute Intuition ausgebildet hatten. Mit diesem Team führte sie intuitive Unternehmensanalysen durch. Dabei bemerkte sie, dass die Unternehmen oft nur einen kleinen Teil des aufgezeigten Potenzials nutzen konnten, was vor allem an den Führenden lag. Deshalb wandte sie sich dem Executive Coaching zu. In ihrer Arbeit wollte sie die Erfahrungen und Erkenntnisse der spirituellen Praxis in die Wirtschaft und Gesellschaft bringen. »In dieser langen Zeit mit Meditation und Yoga wurde mir klar, dass ich mir eine Gesellschaft wünsche, die sehr viel bewusster ist. Mir reichte es nie, dass man nur in eine Yogastunde geht und etwas mehr Einheit erfährt – und dann geht man wieder zurück ins Unternehmen, in den Alltag und verliert es wieder. Mein Wunsch ist, dass sich die ganze Gesellschaft auf eine bewusstere Ebene bewegt.« Dieser Wunsch war der Initialimpuls, der schließlich zu ihrem Weg in die Politik führte. »Dieser Ruf war klar, aber sie wollte sich nicht in dieses Hickhack von links und rechts und in diese politischen Debatten und ihre Sprache einfügen.«
Als neben ihrem Wohnhaus eine 5G-Mobilfunkantenne gebaut werden sollte, spürte sie einen »Wake-up-Call«. Sie organisierte einen Dialog in der Region und konnte den Bau der Antenne verhindern. Sie wusste nun, dass sie etwas bewirken konnte und so öffnete sich der Weg in die politische Arbeit. Zunächst trat sie den Grünliberalen bei, aber für ihre Vision eines politischen Dialogs mit Herz und Seele gab es dort kaum Resonanz. So fand sie den Weg zur Partei Integrale Politik.
Ihr Grundanliegen in ihrer politischen Arbeit ist, Voraussetzungen für eine bewusstere Gesellschaft zu schaffen, in der statt verhärteter Fronten die kollektive Intelligenz im Dialog wirken kann. Ein politischer Dialog, in dem auch die Intelligenz des Herzens, die Inspiration und Intuition Raum finden. Aus solch einem integralen Ansatz können, so ist sie sich sicher, ganz neue Lösungsansätze für unsere vielen Herausforderungen gefunden werden. »Wir brauchen neue Visionen: Wie kann unsere Gesellschaft auf einer neuen Bewusstseinsebene aussehen? Wie sieht dann die Bildung, die Wirtschaft, das Gesundheitssystem aus? Die Menschen müssen sich dieses Neue vorstellen können, bevor sie es umsetzen. Deshalb ist eine Vision enorm wichtig, um den nächsten Schritt in eine bewusstere Gesellschaft zu gehen.« Um Visionen und Wege der Umsetzung in verschiedenen Bereichen zu erarbeiten, hat Susanne Baumann begonnen, Expertenräte zu formen. Für den Prozess der Umsetzung neuer Ideen ist für sie ein gesellschaftlicher Prozess der Selbsterkenntnis notwendig: »Wir müssen verstehen, welche Glaubenssätze oder Muster dazu führen, dass wir zum Beispiel die Natur zerstören.«
Heute hat Susanne Baumann zu einer Integration von Spiritualität und dem Einsatz für einen gesellschaftlichen Wandel gefunden. Und sie möchte Menschen, die sich auf einem Weg der Bewusstseinsentwicklung befinden, ermutigen, sich auch politisch zu engagieren. Denn, so hat sie beobachtet, viele Menschen auf einem inneren Weg haben Visionen für eine bessere Zukunft, widmen sich aber oft nicht der Umsetzung. Und viele der Führenden in Politik und Wirtschaft, die Umsetzungskraft haben, fehlt es an diesem visionären Blick. Deshalb ist sie überzeugt, »dass jetzt die Zeit gekommen ist, wo immer mehr spirituelle Menschen etwas in der Welt bewirken können.« Susanne Baumann ist ein inspirierendes Beispiel dafür.

www.susanne-baumann.com
www.integrale-politik.ch

Dieser Text ist ein Auszug aus der nächsten Ausgabe von evolve, die am 7. November erscheint.