Gemeinsam dem Leben eine Stimme geben

Reflexionen zum evolve Live Tag in München

von Peri Schmelzer

Am 5. Oktober lud evolve zum Live-Event nach München ein. Referent war Dr. Franz-Theo Gottwald von der Schweißfurth-Stiftung. Die Moderation lag in den Händen von Mike Kauschke, dem leitenden Redakteur des Magazins, Gastgeberin war Vera Griebert-Schröder, die auch zu den Münchner evolve Salons einlädt.
25 Menschen trafen sich an einem regnerischen Samstag, um über die Frage zu sprechen: Eine Kultur natürlicher Lebendigkeit – sind wir bereit für eine Ethik der Verbundenheit? … und damit zusammenhängend: Wie entsteht Verbundenheit? Wie können wir einander und der Welt in Offenheit begegnen?
Es war ein Tag randvoll mit Gesprächen, mit Dialogen und Begegnungen; mit neuen Ideen und Gedanken, Assoziationen und Einsichten. Was bleibt im Gedächtnis, was nimmt man mit?
Franz-Theo holte die Zuhörer ganz langsam in das Thema hinein, sprach über seine Begegnungen mit Kühen, über die Verbundenheit, die zu ihnen beim Melken entsteht – ja, die entstehen muss, damit sie bereit sind, Milch zu geben. Dabei war er sich sehr wohl darüber im Klaren, dass diese Einführung für manche Zuhörer eine Herausforderung darstellte – das war so gar nicht das, was wir erwartet hatten. Und doch war es der gelungene Einstieg ins Thema: Verbundenheit findet auf verschiedene Ebenen statt, bei den Kühen eben vorrangig über körperlichen Kontakt. Von denen ging es dann ganz flott zu den Ebenen, auf denen wir Menschen einander begegnen können: auf der sozialen, der kulturellen und der geistigen. Das Interesse wuchs spürbar und eine Atmosphäre von Lebendigkeit und Offenheit entstand. In Kleingruppen wurden dann die Impulse der großen Runde vertieft.
Verbundenheit kann entstehen, wenn wir offen sind für den oder das andere, für das, was geschieht, für das, was wir noch nicht kennen – auch und besonders dann, wenn es nicht unseren Erwartungen und Vorstellungen entspricht. Doch oft haben wir Angst vor wirklicher Begegnung und davor, gesehen zu werden. Wenn wir uns für das öffnen, was gerade geschieht, haben wir keine Kontrolle mehr darüber. Das ist wie ein Tanz auf Messers Schneide. Wenn uns zum Beispiel jemand länger in die Augen schaut, fühlen wir uns nackt – wir wissen nicht, was er sieht.
Begegnung kann geschehen, wenn wir das stehen lassen können, was geschieht, was der andere sagt oder tut; wenn wir zuhören – vielleicht sogar so, wie Momo zuhörte: auf eine Weise, die Menschen Dinge sagen lässt, von denen sie nicht einmal wussten, dass sie das denken.
Begegnung ist ein Prozess, in den wir einwilligen. Voraussetzung dafür ist, dass wir dem Leben vertrauen – nicht darauf, dass unsere Erwartungen und Vorstellungen erfüllt werden. Es gilt, still zu werden und da zu sein.
Wie können wir dem Leben eine Stimme geben?
Auch das kann auf unterschiedliche Weise geschehen. Manchmal gilt es, die Stimme zu erheben und auch in die Tat zu gehen, zum Beispiel, wenn Leben gequält oder missachtet wird. Manchmal gilt es, etwas auszuhalten und dadurch vielleicht den Raum für Veränderung zu öffnen. Und manchmal ist es wichtig, seine Stimme dem Schönen und Wertvollen dieses Lebens zu geben, seine Leichtigkeit zum Ausdruck zu bringen.
Die Grundhaltung wurde in dem Satz zum Ausdruck gebracht: Das Nötige tun, um das Mögliche einzuladen.
Es gab dieses schöne Bild vom Gewebe des Lebens, das entsteht, indem das Weberschiffchen den Faden der Lebendigkeit zwischen uns Menschen und zwischen uns und der Welt hin-und-her webt. Auch hier wieder die Bedeutung des Prozesshaften, die Bedeutung des Sich-berühren-lassen.
Nochmals zu der Frage: Sind wir bereit für eine Ethik der Verbundenheit?
Im Verlauf der Stunden, die wir miteinander verbrachten, war zu spüren, wie Offenheit und Vertrautheit wuchsen und wie aus unserem lebendigen Miteinander ein Feld entstand, aus dem dann wieder jeder Einzelne in einer Atmosphäre der Freundschaft und der Freude schöpfen konnte.
Also die Antwort: Ja, wir sind bereit für Verbundenheit und Begegnung im immer umfassenderen Sinn.
Was habe ich aus diesem Tag mitgenommen? Die Erfahrung, dass Nähe und Lebendigkeit entstehen, wenn ich vertraue – in mich, in den anderen und darauf, dass Leben sich entfaltet. Es ist ein Vertrauen auf das, »was die Welt im Innersten zusammenhält« – sowohl meine eigene klein-große als auch die, in der wir leben. Zu erfahren, wie aus einer Gruppe von Menschen, die sich nicht kennen, eine Gemeinschaft wird, die Kraft generiert, macht Mut und schenkt Zuversicht, dass Wandel gelingt.