Generationen-Zank oder Zauber: Vom achtsamen Dialog zum reifen Miteinander – Teil 2

Zwischen zwei Heiligenfeld-Kongressen

Teil 2: Alle 30 Jahre eine neue Rasse auf der Welt?

Von Katharina Daniels und Viola Karczewski

Was ist es bloß, dass zwischen den Generationen so oft Zank dominiert, dass ein wechselseitiges Verstehen, mehr noch die Bereitschaft dazu, so zaudernd, so zögerlich vonstattengeht? In Teil 2 unserer Generationen-Blogreihe spannen wir den Bogen von der Konnotation des Begriffs “Generation”, bezogen auf die verschiedenen Altersstufen, bis zum Verständnis von Generationen, die Jahrhunderte überspannend. Und meinen, dass genau diese Vielfalt der Sichtweisen Räume für wechselseitiges Verstehen öffnet.

Schon Kurt Tucholsky sagte: “Die verschiedenen Altersstufen halten einander für verschiedene Rassen”. Wir meinen: Der Ansatzpunkt ist Achtsamkeit, genauer die fehlende Achtsamkeit, für das eigene Empfinden, das Empfinden für den Anderen und für das Bewusstsein des Verbindenden. Beim Sommerkongress Heiligenfeld im Mai 2019 sprach Joachim Galuska von drei Entwicklungsebenen der Achtsamkeit, der individuellen, der sozialen und der evolutionären Achtsamkeit. Jede Ebene berührt auch das Miteinander der Generationen – und es geht immer um unser Bewusstsein – für sich selbst, für das Miteinander, für die Kraft des Individuellen im kollektiven Zusammenhalt, welche zugleich bedeutet: Durch die Anerkennung dessen, dass der Andere anders ist als ich, und dies ohne Angst, ohne Abwehr und Aggression – durch diese Anerkennung ist eine positive Konnotation des Gegensätzlichen möglich.

Ähnlich oder fremd? Wie kann Versöhnung gelingen?

Hier drängt vertiefend die nächste Frage ins Sinnen: Wie gegensätzlich sind wir in den verschiedenen Generationen? Sind es womöglich eher unsere Ähnlichkeiten, die uns missgelaunt stimmen? Dies wohl vor allem eine Frage, die für die ältere Generation überlegenswert scheint: Vielleicht sehen wir im Jungen, in der Jugend Abzulehnendes, weil wir uns als Älterer an Empfindungen, Erlebnisse und Reaktionen unserer Jugend erinnern, die wir im Nachhinein missbilligen, bisweilen sogar abstoßend finden? Oder weil uns das, was die Jugend sich nimmt oder noch nehmen kann – an Aufruhr, an Lebensintensität, mit Eifersucht erfüllt? Nicht zugestanden oft, sich selbst gegenüber – da wird dann Neid mit Empörung ummantelt. Oder weil die Lebensspanne, welche die Jugend noch vor sich hat, und die damit oft verbundene Zuversicht einer positiven Entwicklung, den Älteren schmerzlich an seine, immer rascher, ablaufende Zeit gemahnt? An das, was ihm nicht gelungen ist? Und vielleicht auch nicht mehr gelingt? Gegen alle diese unguten Empfindungen versucht die ältere Generation nicht selten derart anzugehen, dass sie den Wert ihrer Erfahrung ins Feld wirft, den die Jungen so noch gar nicht haben können. Immer öfter aber versucht die ältere Generation auch den antizyklischen Weg, versucht jünger als die Jungen selbst zu sein – ein Phänomen, das besonders in unserer Zeit zunehmend zu beobachten ist – und durch Werbung etc. noch angestachelt wird, auf der Suche nach der (unwiederbringlich) verlorenen Zeit.

Beginnt die Welt durch die Jugend jeweils neu?

Was ist es nun bei der Jugend, dass das Empfinden des Gegensatzes auslöst? Denn Erinnerungen können es rein vom Lebenszyklus her nicht sein. Wie soll sich ein junger Mensch in seine Zukunft hinein erinnern können? Es kann ein Erahnen sein, im negativen Falle mit der Erkenntnis verbunden: So will ich niemals werden! Es ist wohl mit hoher Wahrscheinlichkeit das Moment der identitätsstiftenden Abgrenzung. Das Anderssein als der Ältere verschafft mir Einzigartigkeit, gewährt mir als Jüngerem noch auszulotende Spielräume, die der Ältere so gar nicht gehabt haben kann – meint der junge Mensch. Am Spielfeld der Sexualität oft gut beobachtbar. Welcher junge Mensch ist nicht der Überzeugung, genau diese Erfahrungen so in dieser Art erstmals in der Menschheitsgeschichte gemacht zu haben. Generell ist das Pionier-Empfinden ein sehr bezeichnendes Jugendphänomen: “Du verstehst mich nicht” adressiert an die Elterngeneration, formuliert als Vorwurf, mehr noch als fast schon resignierende Konstatierung sich ausschließender Welten.

Wie drei Bewusstseinsebenen Erkennen auslösen

Wollen wir alle diese mental-seelischen Phänomene jetzt als destruktiv brandmarken, als etwas, dass für eine reife Beziehung der Mensch nur überwinden muss? Nein, das meinen und das glauben wir nicht. Wo bliebe das Potenzial einer Entwicklung – generationenübergreifend! – gäbe es nicht die Reibungspunkte und -ränder, an denen sich der Fortschritt des Lernens voneinander und miteinander zeigen, abbilden kann. Es geht unseres Erachtens um ein Erkennen unserer Vorbehalte, besonders unserer unbewussten – um diese ans Licht zu holen, hin- und her zu wenden, sorgfältig zu betrachten und auf ihre Validität abzuklopfen. Beidseitig.

Nehmen wir die individuelle Achtsamkeit: Was macht mein Alter aus? Was ist positiv daran? Je stärker ein Mensch in sich ruht, sich bejaht, desto geringer ist das Bedürfnis nach Abwertung des “Anderen”, des Fremden, des Gegenübers und damit auch der anderen Generation.
Nehmen wir die soziale Achtsamkeit: Wo kann ich künftig genauer hinhören, hinsehen, auch hin erahnen, ohne vorgeschaltete Filter? Welcher Mensch steht mir gegenüber? Nicht: welcher biologische Jahrgang?
Nehmen wir die evolutionäre Achtsamkeit: Betrachten wir genauer, was wir eigentlich unter Generationen verstehen: Gemeinhin verstehen wir darunter die Generationen im Jetzt, also die jetzt Älteren oder Jüngeren. Die oft eher im Gegeneinander als im Miteinander leben. Der Begriff der Generation kennzeichnet aber auch Zeitläufte. Und da zeigt sich Erstaunliches. Die über Jahrhunderte währende Relevanz bestimmter Werte etwa. Warum etwa zitieren wir noch heute Denker, die vor Hunderten, ja vor mehr als tausend Jahren gelebt haben? Und warum haben wir bisweilen das Empfinden, dass deren Erkenntnisse auch unserer Zeit entstammen könnten? Wenn etwa Seneca mahnt: “Warum schuftet Ihr für undankbarer Herren Lohn?” Das hat unser Ur-Ur-Ur-Ur-Ur-Großvater gesagt. Und wir finden es Klasse! Wenn wir das einmal übereinanderlegen, die Zeitläufte und das Jetzt: Dann öffnen sich neue Denk- und Empfindungsräume. Dann wird uns klar, welchen Gewinn wir haben, wenn wir diese Schablonen jung-alt ablegen. Wenn wir begreifen, wie wir gemeinsam, jung-alt, Werte etablieren können – statt uns gegenseitig mit “ollen Kamellen” zu bewerfen.

Von der Bewusstseinsreise über das ICH hinaus

Derlei Prozesse des Erkennens und der Erkenntnis sind ein fließender, unaufhörlicher Prozess, in einem unaufhörlichen Wechselspiel von Entfernung und Annäherung, gleichsam dem Tanz, der ebenfalls von der Spannung zwischen Nähe und Distanz lebt. Je näher ich bin, desto mehr verschmelze ich mit dem Objekt meiner Betrachtung, bis ich zu einer klar konturierten Wahrnehmung nicht mehr fähig bin. Für diese braucht es die gewisse Entfernung, die Distanz zum Gegenüber.
Dieser Gedanken- und Seelentanz kennzeichnet auch das tiefe Durchdringen dessen, was das Begreifen des Phänomens Generation beinhaltet, über die Zeitläufte hinweg und im individuellen Aufeinandertreffen. Es mündet immer in die Bereitschaft, zu sehen, zu fühlen, anzunehmen, was war, was ist, was sein wird oder sein kann – in eine weiche, eine bejahende Neugier auf das Gegenüber: Wie ist der junge Mensch, dem ich begegne, in dem Alter, in dem auch ich einmal war? Kann ich ihm etwas mitgeben? Kann ich durch ihn noch einmal neue Facetten meines Seins, meiner Entwicklung reflektieren und sie für meinen weiteren, verbleibenden, Lebensweg nutzbar machen? Umgekehrt: Wie war der Ältere, der mir gegenübersteht, als er so alt war wie ich jetzt? Kann ich aus seinen Sichtweisen, seiner Erfahrung etwas ziehen? Verkörpert sich in ihm oder ihr etwas Erstrebenswertes?
Die wahre Einsicht in das Evolutionäre dieses Geschehens ist aus unserer Sicht, dass wir gemeinsam – generationenübergreifend – ein Menschenbild kreieren können. Unsere Sterblichkeit – wie jung oder wie alt wir auch sind – eröffnet uns den Wert unseres Lebens und dessen, was wir hier gestalten können. Womit wir Geschichte schreiben, einen geistigen Samen säen können für kommende Generationen.

Teil 1 der Serie: Jugendbashing auf Tontafeln

Teil 3 der Serie: Wenn wir nur wollen würden …

Teil 4 der Serie: Permanent Digital Detox 

Die Autorin Katharina Daniels, Jahrgang 1956, arbeitet als Kommunikationsberaterin für Unternehmen und als Publizistin. Die Autorin Viola Karczewski, Jahrgang 1988, ist Veränderungsbegleiterin für Transformationsprozesse, für Menschen im privaten Wandel und in Unternehmen. Beide entwickeln unter dem Dach der Verbundinitiative “authentisch anders. Kulturwandel in Unternehmen und Gesellschaft” ein Lern- und Erlebnis-Format für das Spannungsfeld “Generationen im Unternehmen”.

Hier lesen Sie mehr zur Zusammenarbeit der beiden Autorinnen