Was ist uns heute heilig? Erfahrungen beim evolve-Salon in Dresden – Uta Hauthal

Was ist uns heute heilig?

Erfahrungen beim evolve-Salon in Dresden

Uta Hauthal

Zur aktuellen Ausgabe trafen wir uns am 30.5.2018 im Literaturhaus Villa Augustin, dem Ort, wo der evolve-Salon Dresden auch in Zukunft beheimatet sein wird.

Unsere Runde bestand auch diesmal aus Teilnehmern mit ganz unterschiedlichen Erfahrungen: sozial, künstlerisch, naturwissenschaftlich und journalistisch Tätige trafen sich, um gemeinsam dem Mysterium, dem Heiligen nachzuspüren.

Als Ausgangspunkt wählte ich einen Auszug aus Mike Kauschkes Artikel „Geheimnisse reden zu uns – Warum die Poetisierung der Welt politisch ist“. Im Anschluss blieben wir eine Weile dabei, inwieweit die Poesie ein Geheimnis ist, ja, aus dem Mysterium heraus spricht und dass sie im Berührtwerden, in der Verbundenheit mit dem Lebendigen eine Wir-Kultur möglich macht. Wir fassten das Heilige als Beziehung – zwischen Menschen, zwischen Mensch und Natur, zwischen allen Erscheinungsformen des Seins, also als dieses gestaltbare Dazwischen. In dieser Weise ist es möglich, aus sich heraus in der Beziehung etwas Neues zu schaffen, einen Raum z.B. im Gespräch zu eröffnen, den es so vorher nicht gab.

Schnell zeigte sich aber auch, dass es Grenzen des Kontaktes gibt, wenn ich mit Menschen zu tun habe (haben muss), die mich überfordern oder die mir gewaltvoll begegnen. Welche Wege kann es hier geben? Und ist an einer solchen Erfahrung noch irgendetwas heilig? Aus diesen Fragen ergaben sich zwei Überlegungen: Es kann genauso wichtig sein, die Beziehungslosigkeit zu spüren, wenn sie da ist, sie nicht zuzudecken mit künstlichen Bemühungen, sondern ihr Raum zu geben. Und damit ergründen zu können, warum sie gerade da ist – habe ich Angst vor Nähe oder davor, verletzt zu werden? Hat der Andere diese Angst?

Ist das Göttliche mit dem Heiligen gleichzusetzen? Wir kamen hier zu einem klaren Ja, d.h., wir konnten uns in der jüdisch-christlichen Tradition sehen, obwohl durchaus nicht alle Teilnehmer christlichen Glaubens sind. Der wichtige Unterschied, der sich herauskristallisierte, war der, dass wir uns das Göttliche zu uns, in uns hinein geholt haben, während es früher häufig mit einem Tabu belegt war (das Heiligste des Tempels, das nur der Priester betreten durfte z.B.) Wir finden das Heilige in uns, um uns herum und also – in der Beziehung.

In diesem Zusammenhang konnte es gar nicht ausbleiben, dass wir auch unserer Dresdner Situation nachspürten, den Erfahrungen von Ablehnung oder Verurteilung, aber auch einem langsam sich verbreitenden Lernen eines anderen Umgangs miteinander: einen Konflikt auszuhalten, die gänzlich andere Meinung stehenzulassen, ohne sich niederbrüllen oder gar angreifen zu müssen. Hier war der herausfordernde Gedanke wichtig, dass das Dunkle, die Wut, der Hass ebenfalls dasein dürfen, dass wir uns auch dabei in Akzeptanz üben (so schwer das ist), da vermutlich in dem Moment, in dem das möglich ist, sich diese starken Gefühle bereits beginnen können zu transformieren. Auch im Hinblick auf die lange Verdrängungsgeschichte von Gewalterfahrungen, existentieller Not und Abstürzen in der Geschichte der Dresdner Familien schien uns diese Haltung von besonderer Bedeutung.

Das Pflänzchen anderen Umgangs, das in der Stadt spürbar wird, hat meiner Überzeugung nach viel mit den Initiativen der Verständigung und Versöhnung zu tun, die seit über 2 Jahren in Dresden aktiv sind, sie haben für diese Entwicklung den Boden bereitet – Mike Kauschke hatte dafür das Bild des Myzelliums gefunden, des Pilzgeflechts, das sich in der Erde ausbreitet und – geheimnisvoll – an irgendeiner Stelle als neue Ausdrucksform seiner selbst sichtbar wird.

Gerade im Erfahrungsraum unserer Stadt, als Heutige, ist es uns wichtig, das Heilige in uns zu spüren und gleichzeitig zu merken, wie wenig eine wie auch immer vorgenommene Wertung taugt, also die Unterscheidung heilig-unheilig (gut-schlecht) zu vermeiden ist. Diese führt in eine Sackgasse, zumal das Heilige auch furchterregend oder erschütternd sein kann. Von dieser Feststellung kamen wir wieder zurück zu unserem Ausgangspunkt: das uns Heilige im Schöpfungsraum der Beziehung, was das Wahrnehmen des Dunklen, ja, der Beziehungslosigkeit einschließt.

An diesem Abend im Literaturhaus Villa Augustin waren wir auf vielfältige Weise im Kontakt und damit in einem gemeinsamen Prozess das Nachdenkens, des Ko-Kreativen, der ganz sicher seine Fortsetzung finden wird.

Uta Hauthal ist Schriftstellerin, Sängerin, Moderatorin, Pädagogin in Dresden. Vor Kurzem ist ihr Roman »Garbald in Dresden« erschienen.

www.utahauthal.de

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