Zur Wurzel vordringen: Ein Interview mit Heike Pourian

Tanz mit den Kräften des Lebens

Dies ist ein Auszug aus dem Interview für die Ausgabe 37 von evolve: Re-Generation: Anfänge einer neuen Kultur

Am 21. April laden wir ein zu einem evolve Live-Dialog mit Heike Pourian und evolve-Redaktionsleiter Mike Kauschke: Radikaler Systemwandel
An welchen Stellen braucht der gegenwärtige Paradigmenwechsel mehr Konsequenz von uns allen?

Aus ihren Erfahrungen im Tanz engagiert sich Heike Pourian in der Begleitung regenerativer Projekte und junger Aktivisten. Vor diesem Hintergrund blickt sie in die radikale Tiefendynamik auf dem Weg zu regernativen Kulturen.

evolve: Was brauchen wir, damit Regeneration nicht nur ein neues Label bzw. vom bestehenden kapitalistischen System vereinnahmt wird?

Heike Pourian: Radikalität. Zur Wurzel kommen. Anerkennen, wo unsere Geschichte ganz grundlegend nicht mehr funktioniert. Charles Eisenstein beschreibt Wandel vonder Geschichte der Getrenntheit hin zum Interbeing. Interbeing ist das Anerkennen der Tatsache, dass kein Leben ohne anderes Leben leben kann. Die Geschichte der Getrenntheit ist ein Narrativ, während Interbeing ein Lebensgesetz ist. Wir bewegen uns also gerade von einer Hilfskonstruktion in ein Anerkennen der Gesetzmäßigkeiten des Lebens. Dabei gibt es einen Raum zwischen den Geschichten, in dem wir Orientierungslosigkeit erleben, weil das Alte nicht mehr funktioniert, das Neue aber noch nicht fassbar ist. Wir merken, wie sehr uns das Alte konditioniert hat. Das, was ich überwinden will, hat mich so geprägt, dass ich mich eigentlich nur schwer davon unterscheiden kann. Hier ist ein herausfordernder Prozess des Verlernens nötig, um zu begreifen, welche Überzeugungen noch die Prägung dieser Geschichte der Getrenntheit in sich tragen.

Das ist die Stelle, wo es für die Menschen, die im Bewusstseinswandel unterwegs sind, ungemütlich werden muss, weil wir uns nicht auf unser Meditationskissen zurückziehen können. Wir müssen anerkennen, dass wir uns als Menschheit eine falsche, ausbeuterische Geschichte erzählen, um Sicherheit durch Kontrolle herzustellen. Wenn wir die Kontrolle loslassen, dann gehen wir in Richtung des Regenerativen. Da wird es erst mal ungemütlich, weil wir mit unserer Angst konfrontiert werden. Wir fühlen uns nackt. Wir sind es so gewohnt, die Muskeln anzuspannen, dass uns das Verkrampfen sicherer vorkommt, als uns der Schwerkraft hinzugeben. Es gibt diesen Spruch: »Don’t tell me to relax, it’s only tension that holds me together«. Wenn ich mich durch meinen Stress definiere und jemand sagt mir „Entspann dich“, dann denke ich ja, dass ich sterbe, wenn ich loslasse.

e: Das bedeutet auch, wir finden als Menschen ein Vertrauen in etwas anderes als unsere Möglichkeiten, die Welt zu kontrollieren.

HP: Ja, wir versuchen momentan, unsere Welt sicher und vermeintlich gerecht zu machen, indem wir durch menschengemachte Gesetze Ordnung ins Chaos bringen. Und wir kommen kaum noch hinterher, weil die Welt sich so rapide verändert, dass wir gar nicht so schnell neue Gesetze schaffen können. Statt immer weiter zu hecheln, um bloß die Kontrolle nicht zu verlieren, könnten wir uns in die Gesetzmäßigkeiten des Lebens hinein entspannen, die allem Lebendigen innewohnen.

Dafür bedarf es der Demut. Wir können uns aus unserem Größenwahn und unserer Hybris, alles kontrollieren zu wollen, in unsere Begrenztheit hinein entspannen – und gleichzeitig in unser Aufgehobensein in einer Lebensintelligenz, die so viel weiser ist als unser kleines Menschenhirn. Diese Intelligenz des Lebens können wir nicht kontrollieren. Wir können uns dafür empfänglich machen.

e: Mit der Radikalität scheinst du auch dieses „Empfänglich-Machen“ anzusprechen. Wenn wir in der eigenen Existenz zur Wurzel gehen, geht es ja auch darum, mit dem eigenen Handeln dafür einzustehen.

HP: Wenn ich mich selber beobachte, dann überkommt mich ganz schnell eine Ohnmacht angesichts dieser großen Diskrepanz zwischen dem, was ich für lebensförderlich und regenerativ halte, und dem, was ich in der Welt vorfinde. In unserer Kultur kennen wir fast nur zwei Reaktionen: entweder ich resigniere oder ich gehe in einen krassen Aktivismus.

Ich sehe, dass viele junge, hochmotivierte Menschen sich verausgaben und verzweifeln – insbesondere, wenn sie sich in Aktionen des konfrontativen Aktivismus engagieren. Damit möchte ich nicht gegen die Notwendigkeit von Wut-Kraft sprechen. Ich glaube trotzdem, dass es sinnvoll ist, ganz genau zu schauen, an welcher Stelle es wirklich so viel Anspannung braucht und an welcher Stelle wir nur glauben, dass es nur mit Kraftanstrengung geht, weil wir eben so konditioniert sind. Kann ich vielleicht auch den Gedanken zulassen, dass Menschen, die ausbeuterische Entscheidungen fällen, aus einer Hilflosigkeit und nicht aus einer Boshaftigkeit handeln? Ist es möglich, mit dieser Grundhaltung in den Kontakt zu gehen: „Wir wollen alle leben und wir stellen uns alle ziemlich blöd an bei diesem Versuch, ein lebenswertes Leben hinzubekommen.“

Wir dürfen heute lernen, dass ein Nein zu etwas Bestehendem uns nicht in die Verhärtung bringen muss. Konkret heißt das: im Dialog sein.

Wie ist es, wenn ich nicht mit der Vermutung in einen Dialog gehe, dass mein Gegenüber ein Idiot ist, weil er solche Entscheidungen fällt, sondern mit der Neugier, ob ich etwas erfahre, was ich noch nicht wusste und was meine Perspektive erweitert. Und das ist für mich hochgradig regenerativ, weil sich auch in mir etwas entspannt, weil ich nicht mehr aufpassen muss, wo ich ein Argument erwische, das ich dann gut widerlegen kann, sondern weil ich in Beziehung gehe. Und ich glaube, Regenerativität hat sehr viel mit Beziehung zu tun.

Lesen Sie das ganze Interview mit heike Pourian in der Ausgabe 37 von evolve: Re-Generation: Anfänge einer neuen Kultur

Am 21. April laden wir ein zu einem evolve Live-Dialog mit Heike Pourian und evolve-Redaktionsleiter Mike Kauschke: Radikaler Systemwandel – An welchen Stellen braucht der gegenwärtige Paradigmenwechsel mehr Konsequenz von uns allen?