Eine Welt zum Ausdruck bringen – Anja Mattenklott

Eine Welt zum Ausdruck bringen

Ein Interview mit Anja Mattenklott

Die Ausgabe 16 von evolve haben wir mit Arbeiten der Künstlerin Anja Mattenklott gestaltet. Wir sprachen mit ihr über das Anliegen ihrer Kunst.

Anja Mattenklott

evolve: Welches innere Anliegen möchtest du mit deiner Kunst zum Ausdruck bringen? Aus welchem inneren Impuls heraus entstehen deine Kunstwerke?

Anja Mattenklott: Mein Grundanliegen ist, mich auszudrücken, meine Gefühle, Ideen, Erlebnisse zum Ausdruck zu bringen. Das Malen ist für mich eine Art »Selbsterforschung«, es hilft mir, mich selbst zu erforschen, innere Prozesse zu klären. Und ich möchte meinen inneren Reichtum und das Schöne, das ich in mir habe, nach außen bringen und mit anderen Menschen teilen.

Bei den Bildern von den Friedensstiftern ist es etwas anderes, denn da gibt es eine Geschichte zu den Menschen, die ich in den Bildern vorstelle. Deshalb muss ich viel recherchieren, um zu verstehen, was der Hintergrund dieses Menschen ist, aus welcher Kultur er oder sie kommt und was das Ziel seiner oder ihrer Friedensarbeit ist. Auch finde ich immer wieder Parallelen zu meinem Leben. Das letzte Bild habe ich von einem Geheimdienstoffizier aus dem Libanon gemacht. Dort herrschte von 1975 bis 1990 der Bürgerkrieg – ich bin 1975 geboren und 1998/99 war die Wende und es gab mein Land, die DDR, nicht mehr. Nach dem Bürgerkrieg war Beirut zerstört, ähnlich wie Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg. Hier gab es dann die Mauer, und Beirut wurde durch die Greenline geteilt, um Christen und Moslems zu trennen. Solche Parallelen wie diese zwischen Beirut nach dem Bürgerkrieg und Berlin nach dem Zweiten Weltkrieg begegnen mir immer wieder, wenn ich male und mich mit den Menschen und Themen auseinandersetze.

In meiner Malerei spiegelt sich auch mein Interesse für ursprüngliche Volkskunst aus der ganzen Welt. Darin finde ich eine ganz besondere Energie, die mir im westlichen Denken oft fehlt, eine Tiefe und Verbundenheit mit dem Urgrund. Wir haben vielfach den Kontakt zur Natur verloren und in den alten Kulturen spüre ich ihn noch. Das spricht mich sehr an, und ich versuche, das auch in meine Kunst zu bringen.

e: Deine Bilder erinnern oft auch an Volkskunst, sie haben etwas Ursprüngliches, Mythologisches. Wie kam es zu deinem Interesse an Volkskunst und mythologischen Bildern?

AM: Das fing schon in der Pubertät an. Damals hatte ich den Traum, nach Neuguinea auszuwandern und dort mit einem Stamm leben. Diese Lebensart hat mich immer interessiert. Ich habe Musik aus den verschiedensten Kulturen gehört, aus Südostasien, von den nord- und südamerikanischen Indianern, aus Afrika, von den Pygmäen oder aus Georgien. Besonders interessiert hat mich dabei die Polyphonie und der polyphone Gesang.

Bei dieser Beschäftigung mit verschiedenen Kulturen komme ich mit der dortigen Volkskunst in Kontakt, die sich auch in der Kleidung zeigt. Letztes Jahr habe ich die usbekische Kunst entdeckt mit ihren großen, mit Blumen und Vögeln bestickten Wandbehängen. Ich sehe darin Wärme, Lebensfreude und Poesie, ich kann darin schwelgen und mich inspirieren lassen. Und ich möchte, dass die Menschen, wenn sie meine Bilder sehen, diese positive Energie und einen Sinn für Schönheit, für den Reichtum des Lebens und der Welt spüren.

e: Reist du selbst viel zu anderen Kulturen oder ist das für dich nicht nötig?

AM: Nein, ich reise nicht viel. Es sind eher »Geistreisen«. Oft habe ich erfahren, dass das Erleben in der Fantasie viel intensiver sein kann, als wenn man direkt an einen Ort reist. Meist ist es mir genug, mich im Geiste dort hinzuversetzen und herauszufinden, was mich daran so interessiert.

e: Wie sieht deine Mitarbeit beim Global Peacebuilder Summit aus, einem Projekt, bei dem du Friedensstifter porträtierst?

AM: Das wird vermutlich ein sehr Langzeit-Projekt, das im vergangenen Jahr begonnen hat. Ich habe am ersten Peace Builder Summit teilgenommen und war tief berührt von den Schicksalen dieser Menschen und ihrem täglichen Leben, aber auch von ihren großen Herzen und ihrem Mut, diese Friedensarbeit zu tun. Diese Menschen sind ja mit ganz anderen Problemen konfrontiert, als wir, die wir im Frieden leben. Das ist eine ganz andere Dimension.

Michael Gleich, der Initiator des Peacebuilder Summit hat mein Bild »Haveltango« gesehen und war begeistert. Daraus hat sich diese Zusammenarbeit entwickelt. Ich brauche immer eine bestimmte Grundenergie, um überhaupt ein Bild anfangen zu können, also wenn mich ein Mensch nicht reizt, kann ich auch kein Bild dazu malen. Aber bei diesen Menschen hatte ich große Lust, sie zu porträtieren. Außerdem lerne ich mit ihnen auch die Welt kennen, weil sie aus den unterschiedlichsten Kulturen kommen, mit denen ich mich dann beschäftige. Und es ist mehr, als »nur schöne« Bilder zu malen, denn es geht um Krieg und Mord, um die Schattenseiten des Lebens. Dabei habe ich aber auch erkannt, dass das Gute zusammen mit dem Schlechten dann wieder ein Ganzes ergibt. Wenn ich nur schöne Bilder male, kann es schnell seicht werden, aber wenn ich mich auch den ernsten Themen des Lebens widme, entsteht eine andere Balance und Tiefe.

e: Neben deiner Kunst arbeitest du auch als Gärtnerin. Hast du das Gefühl, dass diese Arbeit in der Natur und mit Pflanzen auch deine Kunst beeinflusst?

AM: Ja, ich denke schon. Bei dem Bild „Haveltango“ habe ich die Pflanzen sehr naturalistisch wiedergegeben, da sieht man Weiden, Erlen, Pappeln, Holunder und Schilf. Früher hätte ich nicht so darauf geachtet wie heute, wo ich mit Pflanzen auch haptisch zu tun habe und sehe, wie sie beschaffen sind. Ich könnte allerdings nicht »Natur pur« malen. Bei meiner Arbeit in einer Baumschule konnte ich im Frühjahr erleben, wie sich die neuen Knospen und Blättchen ausgebildet haben. Bei jeder Pflanze ist es anders. Es war immer wieder beeindruckend und hat mich tief berührt, wie die jungen Triebe zusammengefaltet waren und sich dann entfaltet haben. Das könnte ich als Künstlerin nicht malen, dazu habe ich nicht die Feinheit. Da habe ich eine Art Demut, denn ich kann das mit meinen Mitteln einfach nicht ausdrücken.

e: Gibt es eine spirituelle Praxis, die dich unterstützt oder in deiner Kunst inspiriert? Oder ist die Kunst selbst eine solche Praxis?

AM: Ich habe eine Morgen-Meditation bestehend aus drei Qi-Gong-Übungen. Beim Malen höre ich oft Mantren und singe mit. Ich achte darauf, dass es den ganzen Tag über meditative Momente gibt. Ich achte darauf, Dinge bewusst zu tun mit einer bestimmten Langsamkeit. Bei dem, was ich tue, brauche ich Zeit, sonst habe ich keine Freude daran. Wenn ich einen Konflikt habe oder mich ärgere, kann ich nicht gut malen. Dann spüre ich nicht die Energie, mit der ich malen möchte. Ich kann nicht malen, um meinen Frust loszuwerden. Mir geht es eher darum, diese Gefühle auf eine höhere Ebene zu transformieren. Als Künstlerin trage ich Verantwortung für die Bilder, die ich in die Öffentlichkeit bringe. Ich möchte nicht, dass sich der Betrachter schlecht fühlt. Auch wenn ich wie bei den Friedenstiftern Bilder male, in denen auch Gewalt oder Krieg vorkommt. Statt die Gewalt direkt darzustellen, möchte ich zeigen, wie man darüber hinwegkommt und wie es zu einer Heilung kommen kann.

Wie zum Beispiel bei dem letzten Bild, das ich für die Friedensstifter gemacht habe. Da male ich den ehemaligen Geheimdienstoffizier aus dem Libanon. Das ist ein Mensch, der viele Menschenleben auf dem Gewissen hat und eine schwere Last mit sich herumträgt. Es fiel mir schwer, ein Gefühl dafür zu entwickeln, wie ich einen solchen Menschen darstellen kann. Es hat zwei bis drei Wochen gedauert, bis ich eine Idee dafür hatte, wie das Bild aufgebaut sein könnte. Ich wollte ein Bild malen, das ihn nicht als den Täter, als den Bösen darstellt, sondern ich versuchte, ihn als Menschen zu sehen. Ich gehe immer davon aus, dass jeder Mensch im Grunde gut ist. Dann gibt es Dinge im Leben, in der Umgebung, in der Entwicklung eines Menschen, die dazu geführt haben, dass er in bestimmten Situationen auf eine bestimmte Weise handelt und reagiert. Wenn sich jemand für mich unerklärlich verhält, möchte ich herausfinden, warum – ich versuche zu verstehen, anstatt zu verurteilen. Verstehen dauert meist viel länger als verurteilen.

Die Peacebuilder leiden unter starken Belastungen. Ich möchte ihnen mit meinen Bildern Mut machen, ihre Arbeit fortzusetzen. Wenn jemand Schuldgefühle hat, möchte ich, dass er auf meinem Bild auch als Mensch gesehen wird. Als ich dem libanesischen Friedensstifter sein Bild und die verschiedenen Ebenen darin vorgestellt habe, war er sehr berührt, weil er sich verstanden gefühlt hat. Und das war es, was ich erreichen wollte.

e: Das war also auch für ihn eine Art Heilungsbild.

AM: Ja, und für die anderen Friedensstifter ist es auch interessant, etwas über die anderen zu erfahren, weil sich manche untereinander noch nicht gut kennen. Die Bilder sind dann eine Art Kommunikationsmittel für die jeweilige Geschichte. Man könnte sie auch als Unterrichtsmittel verwenden um Jugendliche über diese Themen zu informieren oder um Gesprächsrunden zu initiieren.

Das Gespräch führte Mike Kauschke.

ANJA MATTENKLOTT studierte Malerei und Grafik an der HGB Leipzig und lebt und arbeitet heute in Paretz bei Berlin als Gärtnerin und freie Künstlerin.
www.art-mattenklott.de