Roland Benedikter über Transhumanismus


Roland Benedikter

Schöne neue Welt

Chancen und Gefahren der Bewusstseinsindustrie

Ein Interview mit Roland Benedikter (Quelle: Telepolis)

von Ingrid Beikircher

Bewusstseinsindustrie ist ein Begriff, der die Verbindung von Technologie und Bewusstsein beschreibt, die heute industriell erforscht wird und von der sich die beteiligten Forscher Lösungen für viele unserer Probleme und menschlichen Beschränkungen versprechen. Aber viele Impulsgeber dieser Bewegung wollen auch das „Ich“ des Menschen grundlegend verändern. In diesem Interview beschreibt der Politikwissenschaftler und Soziologe Roland Benedikter, wie der Diskurs über diese Möglichkeiten unsere Zukunft entscheidend prägen wird.

Sie haben sich eingehend mit dem Phänomen der Bewusstseinsindustrie befasst, in der neue Technologien wie Nanotechnologie und Robotertechnik genutzt werden, um Verbindungen von Mensch und Maschine zu entwickeln. Erforscht werden hierbei vor allem die Direktschaltungen zwischen Gehirn und Computer, die sogenannten „BCI’s“ oder „Brain Computer Interfaces“. Was erhoffen sich die Wissenschaftler von dieser Technologie?

Diese neue Technologie verspricht viele Vorteile. Im Raum steht für die Mobilität der Zukunft zum Beispiel eine Art Omnipräsenz des Geistes durch die Verbindung des Gehirns mit Technologien wie Gehirnimplantaten. So können auf große Entfernungen in Echtzeit komplexe Operationen ausgeübt werden. Ich könnte also global aktiv sein, ohne mich vom Stuhl zu bewegen.

Auf der anderen Seite steht im Rahmen der Anwendung dieser Technologie das bisherige Menschsein zumindest in Teilen zur Disposition. Was man bisher als menschliche Identität, als menschliche Verfassung (conditio humana), als „Ich“ begriffen hat, wird zunehmend in Frage gestellt, wenn sich die Einheit von körperlicher und geistiger Präsenz des Menschen in Raum und Zeit auflöst. Die Bewusstseinsindustrie will den Menschen entkörperlichen, um seine Freiheit zu steigern. Aber niemand weiß, was dabei mit diesem Menschen, vor allem mit seinem Selbstbild und seinem Selbstverständnis geschehen wird.

Maschinen und Menschen

Der Traum dabei ist offenbar die Kontrolle über die menschliche Verfassung, das Ende des Leidens am Körper. Aber wird der Mensch nicht durch seine Verbindung mit Maschinen und Computern im Gegenteil steuerbar? Wird der Mensch zum Maschinenmenschen?

Diese Gefahr steht im Raum. Durch die Verschmelzung von menschlichem Bewusstsein mit Technologie verändert sich sowohl die Technologie als auch der Mensch selbst. Und die Frage ist, ob dabei die Technologie menschlicher – oder der Mensch technischer wird. Diese Frage ist keine rein philosophische oder theoretische mehr: Sie betrifft nun direkt die Grundlage des menschlichen Bewusstseins, den Körper selbst. Die Technik bleibt nicht wie bisher draußen und damit das Objekt des Menschen. Sondern sie dringt in seinen Körper ein, verbindet sich mit ihm, wird zu einem Teil seines Subjekts. Das ist das Neue, das es so bisher in der Geschichte noch nicht gab. Wir sind im Grunde bewusstseinsmäßig nicht darauf vorbereitet, was damit heute beginnt. Und die große Frage lautet also, ob wir diese Entwicklung, die bisher vor allem vom Gesundheits- und Rüstungsbereich vorangetrieben wird, gut werden steuern können.

Der junge Schwede Nick Bostrom, Direktor des „Zukunft der Menschheit Instituts“ an der Universität von Oxford, befasst sich wie viele andere intensiv mit dieser Frage. Er nennt sich selbst einen „Transhumanisten“, weil er glaubt, dass die große Entwicklung über den Menschen hinauszielen sollte, in die Entstehung eines „neuen Menschen“, der jenseits des bisherigen Menschen angesiedelt ist: eines Menschen, der sich mittels Technologie vom Leiden am Körper befreit.

Ja. Die Transhumanisten gehen davon aus, dass wir uns als Menschen vom Körper emanzipieren sollten – und heute erstmals auf dem Weg dazu sind, das auch zu können. Sie glauben: Der Mensch ist im Grunde mit seiner Existenz unglücklich, macht sich aber zugleich selbst vor, seine Existenz sei das Höchste, was es gäbe. Für Bostrom und andere ist das Unsinn. Seitdem die Technik mit Implantaten in den Körper des Menschen einzudringen vermag, tun sich aus Sicht der Transhumanisten neue Möglichkeiten auf, diesen Abgrund zwischen Anspruch und Wirklichkeit zu überbrücken. Man ist heute ja bereits sehr gut imstande, allein mit Gedanken Maschinen zu steuern. Man experimentiert im breiten Stil am Lebendigen, wie etwa in der Klon-Technologie, und man experimentiert am Menschen und seinem Körper – so hat zum Beispiel Großbritannien kürzlich die Züchtung von Mensch-Tier-Wesen (Chimären) zu Forschungszwecken erlaubt.

Die Transhumanisten sagen im Gefolge dieser Tendenzen: „Mithilfe der Technik wollen wir das Leid und Elend des Menschen vermindern, indem wir zum Beispiel durch Implantate und Prothesen (Körpermedien) aus dem Menschen eine Art Hybridwesen machen, das mehr Möglichkeiten der Informationsverarbeitung, der Gedächtnisleistung und der Kontrolle von technischen Hilfsinstrumenten hat.“ Sie sagen: „Wir hoffen damit einen Großteil von Krankheits- und Alterungsprozessen durch Genmanipulation und Genselektion zu verhindern. Zudem können wir die Bewusstseinskapazität steigern, indem wir die Gedächtnisleistung um ein Vielfaches erhöhen und möglicherweise in kurzer Zeit Lerneffekte erzielen, für die ein Mensch sonst ein halbes Leben brauchen würde.“

Milliarden Dollar werden heute bereits in Umwandlungstechnologien investiert, die den Menschen grundlegend verändern würden. So wird etwa die Technologie der Telomerenmanipulation erforscht, wo die Zellen aufgrund der Beeinflussung der Alterungsinformation theoretisch nicht mehr altern sollen. Das sind Entwicklungen, die jedenfalls die Ideologie des „Transhumanismus“ vorantreibt – zum Teil aktiv und mittels Lobbyismus, zum Teil aber auch als allgemeine, unbewusste Kulturstimmung. Dahinein setzen viele Menschen große Hoffnungen, aber ebenso viele haben davor Angst, und zwar zu Recht.

Das Ende des Leidens?

Mit dem Einsatz erheblicher Ressourcen ist also sozusagen eine globale Menschenindustrie im Entstehen. Aber warum eigentlich? Worin besteht der Leidensdruck? Was sind die Hauptprobleme des bisherigen Menschen?

Nick Bostrom sagt, es gebe nur drei Probleme für den Menschen: Erstens den Tod – und hier gibt er ein sehr bezeichnendes Beispiel: Wenn man das im Lauf eines Lebens angeeignete Wissen eines jeden Menschen in einem einzigen Buch symbolisieren würde und bedenkt, dass tagtäglich 200.000 Menschen auf der Erde sterben, verlieren wir täglich 200.000 Bücher – das ist pro Tag das Volumen der Bibliothek von Alexandria. Das zweite Problem ist das existenzielle Risiko des Menschen und das dritte die Unvorhersehbarkeit, die Nicht-Planbarkeit unserer Zukunft.

Bostrom meint, wenn wir diese drei Probleme lösen, haben wir im Wesentlichen das Grundproblem der bisherigen Menschheit gelöst. Bisher brauchten wir als Homo sapiens 200.000 Jahre, um uns unserem Körper mehr oder weniger frei gegenüberzustellen. Doch erst seit den letzten 30 Jahren haben wir die technische Möglichkeit, die Lösung dieser Probleme selbst in die Hand zu nehmen, unseren Körper nach unserem Willen umzugestalten, zweimal so viel Lebenszeit zu erreichen wie ihm natürlich zusteht, aber auch den Weltraum zu besiedeln und damit die Ressourcenfrage und die Überbevölkerung der Erde zu lösen.

Bostrom geht also davon aus, dass wir die Lösung aller Menschheitsprobleme nun selbst in der Hand haben?

Ja, und das ist, zumindest wenn die bisherige Entwicklung der Technologie so weitergeht, in Bälde richtig. Aber während die Transhumanisten dies fast nur als positiv ansehen, ist aus humanistischer Sicht damit auch ein ungeheurer Verlust verbunden: das Bisherige des Menschseins wird offenbar „nicht mehr gebraucht“, bisherige Kultur- und Seinsleistungen werden abgewertet und in Frage gestellt. Manche gehen sogar so weit, alle bisherigen Selbstbilder und Sinnentwürfe des Menschen pauschal als Illusion zu bezeichnen.

Ich bin sehr skeptisch gegenüber der Geschwindigkeit und der Art und Weise, wie das geschieht. Ich bin für Fortschritt, aber ich befürchte, dass ein Großteil der heutigen Transhumanisten eigentlich keine Ahnung hat, was er mit dem Menschen eigentlich tut. Und das ist das zentrale Problem; denn wenn ich den Menschen verändere, verändere ich alles. Daher ist die Entstehung einer globalen Bewusstseinsindustrie heute die vielleicht wichtigste Entwicklung – wichtiger als alle politischen Umbrüche und militärischen Konflikte. Warum? Weil sie die Grundlage von allem anderen, den Menschen selbst, betrifft. Weil sie diese Grundlage umzugestalten beginnt, ohne eigentlich zu wissen, was sie tut. Experimentieren ist gut, aber nicht bewusstloses Experimentieren an dem, was die eigentliche Grundlage aller Experimente ist.

Es ist zunächst einmal überraschend, dass Sie die globale Bewusstseinsindustrie als wichtigste Entwicklung heute beschreiben, den meisten Menschen ist das Ausmaß der Forschungen und Überlegungen durch die Vordenker des Transhumanismus nicht bewusst. Wenn diese Forschungen nun in dieser Weise weitergeführt werden, auf welche Veränderungen müssen wir uns einstellen? Wie sieht der Maschinenmensch von morgen aus?

In Zukunft wird man sein Hirn durch Gehirnimplantate an sogenannte Mind-Machine-Interfaces anschließen, können wie an einen PC und damit Maschinen steuern. So werden wir auch innerhalb kürzester Zeit Wissen downloaden können. Die Hoffnung ist, dass damit Lerneffekte schneller erzielbar sind. Aber niemand weiß, was das dann für ein Wissen sein wird, ob es überhaupt ein „Wissen“ im bisherigen Sinn sein wird, ob und wie es im „Ich“ des Menschen ankommt und was dabei mit dem „Ich“ des Menschen geschieht, der dieses „Wissen“ aufnimmt.

Das Ziel mancher Vorreiter der Entwicklung wie etwa von Kevin Warwick ist es, den eigenen mentalen Prozess mithilfe von bildgebenden Verfahren der Magnetresonanztomografie bildlich nicht mehr nur als Zustand, sondern als Prozess darzustellen. Dabei entsteht in Tausenden von Bildern eine Art von Individualität des abgebildeten Gehirnprozesses, und wenn man das in der nötigen Komplexität macht, kann es, so die Hoffnung der Transhumanisten, in einen Algorithmus gepackt und praktisch als Programm funktional gemacht werden. Die Extremhoffnung einiger Wissenschaftler ist, man könne dann als Ergebnis seinen eigenen Algorithmus in das Internet up- und downloaden, praktisch virtuell im Internet als reiner Geist existieren und sich seines Körpers und aller Übel entledigen.

Natürlich ist das erstens unwahrscheinlich und zweitens ein logischer Irrtum, da das Ich nur als Gehirn, aber nicht als unmittelbare Selbstgegebenheit eines Bezugs in Betracht gezogen wird. Jedenfalls will ich damit sagen, dass diese Entwicklung in ihren zum Teil abenteuerlichen Hoffnungen und Bestrebungen bedenklich ist. Sie ist „tiefenambivalent“. Es ist eben nicht so wie in der Religion, wo es nur ein Gut oder ein Böse gibt, sondern es gibt gute wie schlechte Seiten daran. Das Ganze ist mit Risiken verbunden, die wir heute noch gar nicht richtig verstehen, geschweige denn, dass alles daran planbar wäre. Und natürlich kann der Maschinenmensch auch militärisch genutzt werden, gleichsam als Verbindungsstück mit Kriegsgerät; die ganze Drohnentechnik läuft bereits in diese Richtung.

Der archimedische Punkt des Ich

Sie haben diese kulturelle Entwicklung nun schon seit Längerem verfolgt, wie stehen Sie zu den Ideen und Visionen der Transhumanisten?

Ich persönlich sehe die Austauschbarkeit des Menschen durch „inversive“ Technologisierung skeptisch. Ich möchte ein vernünftiges, an der Aufklärung orientiertes Gegengewicht zu den Transhumanisten bilden, die sich nur an der Renaissance, aber nicht an der Aufklärung orientieren, weil sie diese für zu vernachlässigen und für unnötig ethisch restriktiv halten.

Ich dagegen plädiere für einen Neohumanismus, bei dem der bisherige Mensch nicht unbedacht aufgegeben werden soll. Wir kennen den bisherigen Menschen noch gar nicht ausreichend, um ihn vorschnell preiszugeben und in einen Cyborg zu verwandeln. Es besteht das Risiko, dass wir dadurch dasjenige, als was wir uns bisher konzipierten, als solches verlieren.

Die Transhumanisten sagen, Kulturgeschichte, Literatur, Kunst, Religionen, Philosophien, Welterklärungen, sie alle seien nur künstliche Sinngebungen in der Epoche des armseligen „natürlichen“ Menschen, nämlich die temporäre Geschichte einer Menschheit, die bisher noch nicht die Möglichkeit hatte, sich selbst in die Hand zu nehmen. Jetzt aber haben wir die Möglichkeit, uns selbst zu gestalten, und damit wird Technologie zum Inbegriff der Kultur, die alle anderen Leistungen ersetzt, weil sie dem Menschen seine eigene Veränderung ermöglicht. Damit können wir nicht nur die Erde, sondern was die Menschheit auf ihr ist, verändern.

Ich plädiere für Vorsicht und für eine vorgängige Neuaneignung der bisher erarbeiteten Grundlagen. Vor allem aber plädiere ich für einen Schutz des „Ich“, das die meisten Transhumanisten leugnen. Denn das „Ich“ ist der archimedische Punkt von allem anderen. Wenn im Lauf der Technisierung des menschlichen Körpers das „Ich“, die ursprüngliche „Ich“-Erfahrung, modifiziert werden sollte, dann steht in der Tat „alles“ in Frage, weil es ohne „Ich“ auch keine Wirklichkeit gibt – weder eine Sinneswahrnehmung noch einen Gedanken. Das „Ich“ ist der archimedische Punkt, von dem alles ausgeht, und den wir daher vor dem Zugriff der Technologie schützen müssen. Oder wie es der Philosoph Colin McGill ausdrückt: Wir müssen den Abgrund, die Differenz zwischen „Ich“-Erfahrung und Gehirn schützen und auf ihre Nicht-Identität hinweisen: darin besteht ein vernünftiger Neohumanismus und die Aufgabe des heutigen aufgeklärten Intellektuellen.

Ich glaube im Gegensatz zu den Transhumanisten an das menschliche „Ich“. Ich glaube, dass der Mensch ein unglaubliches Potenzial besitzt, und dass im „Ich“ etwas  liegt, was für unsere Zukunft entscheidend ist.

Dr. Dr. Dr. Roland Benedikter ist Politikwissenschaftler und Soziologe und lehrt an der Universität von Kalifornien von Santa Barbara und an der Universität Stanford im Herzen von Silicon Valley. Er ist akademisches Vollmitglied des Potomac Instituts für Politikstudien in der US-Hauptstadt Washington, Mitglied des „Board of Trustees“ der Toynbee Prize Foundation Boston und lehrte im vergangenen Jahr auch an der Viadrina Universität Frankfurt/Ode