Editorial 06 / 2015

Das Wir liegt offensichtlich im Trend. Kürzlich veröffentlichte das Zukunftsinstitut eine Studie mit dem Titel „Die neue Wir-Kultur“. Der Soziologe Peter Spiegel spricht von „WeQ“ und dass nach IQ und emotionaler Intelligenz nun die „Wir-Intelligenz“ Bedeutung gewinnt. Aber was meinen wir eigentlich mit Wir? Und warum wird es von vielen als so bedeutsam für unsere Zukunft gesehen?

In dieser Ausgabe suchen wir nach Antworten auf diese Fragen und lassen verschiedene Formen des Wir zu Wort kommen. Mit der World Café-Gründerin Juanita Brown und dem Dialog-Experten William Isaacs haben wir darüber gesprochen, was sich im kreativen Zusammensein zwischen uns zeigen kann. In diese „Magie der Mitte“ gibt es ihrer Ansicht nach viele Wege und sie sind sich sicher, dass diese für die Lösung unserer globalen Probleme entscheidend sind. Denn heute reicht ihrer Ansicht nach nicht mehr nur eine Toleranz der verschiedenen Kulturen, wir müssen in einen Dialog treten – auf allen Ebenen der Gesellschaft und der globalen Führung. Brown und Isaacs sind Beispiele für die Wirksamkeit von intersubjektiven Praktiken in der „realen Welt“. Auf eigene Weise hat auch die Künstlerin und Aktivistin Shelley Sacks mit dem weltverändernden Potenzial sozialer Praktiken experimentiert. Als Schülerin von Joseph Beuys und Leiterin des Forschungszentrums zur Sozialen Plastik an der Oxford Brookes University veranstaltet sie verschiedene Foren, um Menschen tiefer mit sich selbst, mit anderen Menschen und der Welt zu verbinden.

Wie solche Formen des Zusammenkommens unser Bewusstsein verändern, erkundet evolve-Herausgeber Thomas Steininger in seinem Gespräch mit Jeff Carreira. Darin thematisieren sie die weitgehenden Implikationen, wenn wir uns nicht mehr nur als getrenntes Individuum erleben, sondern verbunden mit der Grenzenlosigkeit eines meditativen Bewusstseins und der Kreativität schöpferischer Bewegung zwischen uns. Eine solche Bewegung bezeichnet der spirituelle Lehrer Thomas Hübl in unserem Interview als einen „Strom der Intelligenz“.

In der Betrachtung verschiedener Formen des Wir war uns besonders wichtig, die Dynamik zwischen Ich und Wir zu verstehen. Denn niemand von uns möchte zurück in ein Wir, das unsere Individualität unterdrückt oder dämpft. Nadja Rosmann untersucht in ihrem Artikel, wie sich unsere Ich-Identität durch die Erfahrung eines bewussten Wir verändern kann – und wie sich das Wir verändert, wenn wir als bewusstes Ich darin präsent sind. In meinem Beitrag gehe ich dieser Dynamik zwischen individuellem Ausdruck und Gemeinschaft in einer biografischen Kontemplation nach, beginnend mit dem Aufwachsen in der „Wir-Gesellschaft“ der DDR.

Für uns ist diese evolve aber nicht nur eine Ausgabe über das Wir, sondern aus dem Wir. Unser Team bei evolve lebt aus der gemeinsamen Kreativität. Es ist immer wieder ein kleines Wunder, wenn ich beim Schreiben eines Editorials auf die Produktion zurückblicke. Aus ersten Ideen und Ahnungen entwickelt sich im schöpferischen Miteinander Beitrag für Beitrag. Das Ergebnis ist dann für uns selbst eine Überraschung, wenn die Artikel und Interviews ein neues Ganzes formen. Und nicht nur die redaktionelle Arbeit, sondern das ganze Team von evolve lebt von diesem kreativen Engagement.

Damit diese kreative Entwicklung unseres Magazins weitergehen kann, brauchen wir Ihre Unterstützung. Sie, als Leserinnen und Leser, sind für uns zutiefst Teil dieses Wir – eigentlich der wichtigste Teil. Für Sie versuchen wir, vier Mal im Jahr relevante, überraschende und erweiternde Beiträge zu versammeln. Nach der Aufbauphase im letzten Jahr, die uns durch eine einmalige Spende ermöglicht wurde, brauchen wir finanzielle Unterstützung, um weiter in der gewohnten Form zu erscheinen. (Weitere Informationen dazu finden Sie auf Seite 8/9.)

Um das evolve-Wir für Sie noch lebendiger zu machen, werden wir im Mai auch mit unseren evolve-Salons beginnen. Diese Salons bieten nun regelmäßig die Möglichkeit, mit anderen Lesern über unsere Inhalte ins Gespräch zu kommen. (Informationen dazu finden Sie in unserem Kalender auf Seite 86/87.)

Diese Möglichkeiten des Austauschs mit Ihnen sind uns sehr wichtig. evolve ist kein kommerzielles Magazin für den großen Markt, wir sehen uns als Stimme einer Bewegung für eine progressive, integrale Spiritualität. Für uns ist es eine tiefe Freude, zu dieser Entwicklung beizutragen, die uns alle fordert und wachsen lässt.

In diesem Sinne wünschen wir Ihnen eine bereichernde Lektüre und freuen uns wie immer auf Ihre Reaktionen.

Herzlichst
Mike Kauschke