Leserstimmen evolve 19

Zur evolve 19 »STADT & LAND – Lebendige Lebensräume«

Zuerst war ich fast ein bisschen enttäuscht von diesem »Allerwelts-Thema« Stadt & Land! Dass in dieser Frage so viel Spannendes und Tiefsinniges schlummert, das hat mich dann umso mehr überrascht! Vor allem Herrn Steiningers Essay war eine wahre Fundgrube für mich! Das sehr Bewegende und heute so Wichtige darin ist der große und tiefe Respekt vor unserem in langen Zeiträumen gewachsenen geologischen, biologischen und kulturellen Grund. Es spricht sehr sympathisch eine Haltung des Staunens und Dankens aus diesem Text. Sehr wichtig ist dabei: Diese in unseren emanzipierten Zeiten fast vergessene Dankbarkeit betrifft keine moralische, sondern eine existenzielle Ebene. Nicht um die Befolgung einer korrekten Dankespflicht geht es. Es fehlt heute vielmehr diese unmittelbare, tief beglückende Erfahrung, die uns »niederknien lässt«. Solche Erfahrungen sind wie »Brot für Geist und Seele«. Weder kluge Reflexionen noch korrekte ethische Normen sind dabei im Spiel. Allein dieses von außen begegnende und innen vollzogene Erwachen öffnet diese erfüllend-befreiende Daseins-Erfahrung. Das Geschenk: reine, erfüllende Gegenwart! Nichts anderes ist es, worauf alle großen spirituellen Traditionen zielen.

Das typisch städtische, endlos kreative, ingeniöse Erfinden immer und immer wieder neuer Apparate und Konzepte war (und ist wohl noch lange) das Kennzeichen von Neuzeit und Moderne. Aus anthropologischer Perspektive geht es heute jedoch nicht mehr vorrangig um wieder und wieder neue Modernisierungen in Form von handlungs- und technikorientierten Konzepten, sondern umgekehrt: Es geht um Besinnung, um Einkehr, um Mitte im ursprungsbezogenen Sinn. Der »Ort« eines solch intensiven Ineinanders von Ursprung, Herkunft und Zukunft ist kein objektartiger Ort, sondern die je ganz gegenwärtige, menschlich-personale Präsenz. »Personal« dabei abgeleitet von »per-sonare«, von »Hindurch-klingen«: vom Hindurchklingen einer transräumlichen »Ebene« durch die materiell-physische »Ebene« unseres körperlichen Daseins hindurch. »Man sieht nur mit dem Herzen gut« – das bedeutet in diesem Sinn: Die äußere, physische Welt leuchtet von innen – aus dieser höheren Ordnung heraus. Ihr Werden und Vergehen geschieht ununterbrochen. Es geht um eine tiefere Form des Wahr-nehmens. Die riesigen Mengen an technisch hergestelltem »Fortschritt« verstellen und verschatten heute unseren Blick auf die »innere« Fülle von Ursprung und Gegenwart (Jean Gebser). Deshalb: Es lebe das Land! Und den lebendigen, dankbar staunenden, kreativ antwortenden Austausch der Städte mit ihm!

Karlheinz Gernbacher, Schwabach


Zum Beitrag »Wie sollen wir leben« von Giannina Wedde

Seit einigen Monaten beziehe ich evolve. Aufmerksam geworden durch den Titel »Magazin für Bewusstsein«. Ich habe bisher viele wertvolle Impulse erhalten. Unser Verein Unergründlich e. V. hat sich voller Aufbruch-Stimmung der Erdfest-Initiative angeschlossen, von der Sie berichtet haben.
 
Voll Erschrecken und Enttäuschung habe ich daher umso mehr in der letzten Ausgabe die Film-Besprechung gelesen. Wie ist es möglich, dass ein Portrait von Franziskus in dieser Einseitigkeit erscheint? Seine menschliche und empathische Seite hebt Frau Wedde hervor, die im Film von Wim Wenders herausgestellt würde. Wird bewusst oder unbewusst verschwiegen, welchem Machtsystem, das Menschen in seelische Abhängigkeit bringt, er vorsteht und das er zugleich mitträgt? Werden die Opfer der Jahrhunderte, der physischen und psychischen Unterdrückung bis heute, insbesondere die moralische Be- und Abwertung von Minderheiten, ohne je geäußerte Entschuldigung oder Entschädigung der Nachfahren in Kauf genommen? Wie kann eine Zeitschrift – für Bewusstsein – die zynische Haltung übersehen und nicht darstellen, die hinter einem solchen Mann steht, der offensichtlich jetzt Empathie predigt? Als Religionsvorsteher aber einem Staat vorsteht, der die Allgemeine Erklärung der Menschrechte nicht unterschrieben hat, weil er sie nicht teilt! Nicht Integration, die Sie mit Ihrer Zeitschrift fördern möchten, sondern Inbesitznahme und bei Widerspruch Ausschluss, Exkommunikation, ist die geistige Haltung dieses Mannes. Eine wichtige Frage übersieht Frau Wedde zudem: Warum hat der Vatikan Wim Wenders beauftragt?
Wir, mein Mann und ich, haben uns nach Kündigung bei der römischen Kirche als Seelsorger selbstständig gemacht und begleiten oft Menschen, die in seelische Abgründe getrieben wurden, die Franziskus zu verantworten hat. Wie kann es sein, dass Sie als Redaktion diese Rezension kommentarlos veröffentlichen?
  
Christoph Schmidt, 
Köln