Reform oder Revolution? Rückblick auf die Konferenz „Achtsamkeit in der Bildung“ an der Universität Leipzig – Bennet Lee Bergmann

Im September 2023 hatte ich das Vergnügen, an der Konferenz „Achtsamkeit in der Bildung“ teilzunehmen. Die Veranstaltung wurde vom Projekt „Achtsamkeit in der Bildung und Hoch-/schulkultur (ABiK)“ des Zentrums für Lehrer:innenbildung und Schulforschung an der Universität Leipzig und dem AVE-Institut (Institut für Achtsamkeit Verbundenheit Engagement) organisiert. Der Fokus lag auf dem Thema „Basis für Resilienz und gesellschaftliches Wohlbefinden“. Hier möchte ich meine persönlichen Eindrücke und Erfahrungen von dieser spannenden Konferenz teilen.

Das Programm

Das Konferenzprogramm war äußerst vielfältig und bot eine breite Palette von Keynotes, Vorträgen und Workshops. Die Referenten präsentierten nicht nur theoretische Konzepte, sondern brachten auch viele praktische Einblicke und Erfahrungen ein. Die Diskussionen drehten sich um die Integration von Achtsamkeit in Bildungseinrichtungen, die Förderung von Resilienz bei Lernenden und die gesellschaftliche Bedeutung von Achtsamkeit im Bildungsbereich.

Der Konferenztag wurde von einem Vortrag von Corina Aguilar-Raab eingeleitet. Darin wurde ein kleiner Einblick in die aktuelle Forschungslage zum Thema Achtsamkeit in der Bildung gegeben. Unter Bezugnahme auf einige Meta-Analysen wurde aufgezeigt, dass der Erfolg und die Wirksamkeit von Achtsamkeitspraktiken im Bildungskontext sehr von der Art und Weise der Implementierung abhängen. Hier wurde (mir) deutlich, dass sich ein Wandel in der Erforschung von Achtsamkeit andeutet: Der teils missionarische Einsatz von Forschern, die zeigten, dass Achtsamkeit in der Bildung sinnvoll und nützlich ist, weicht scheinbar einer differenzierteren Betrachtung.

Abgeschlossen wurde der Konferenztag von dem Vortrag von Helle Jensen, die aus ihrer reichhaltigen Erfahrung über die Zusammenarbeit mit Bildungseinrichtungen berichtete. Sie stellt dazu ihre Arbeit im Modellprojekt „Empathie macht Schule“ vor. Dabei stand insbesondere auch der Zusammenhang von Achtsamkeit und Mitgefühl und Empathie im Vordergrund.

Zwischen diesen beiden Vorträgen gab es zwei Slots mit jeweils einem großem Pool von Workshops, Panels und Symposien, auf die sich die Teilnehmenden aufteilten. Hier wurden verschiedene Schwerpunkte vertieft, Modellprojekte aus dem Feld vorgestellt, Fragen zur Thematik diskutiert und eigene Achtsamkeitserfahrungen gemacht.

Zwei Tage Achtsamkeit

Die (öffentliche) Konferenz war dabei der Kern der Veranstaltung. Am Folgetag ging das Programm jedoch noch weiter und es folgte eine Fachtagung und ein Intensivworkshop. Hierbei war spannend, dass der Dialog mit geladenen Enscheidungsträger:innen der Bildungspolitik, Wissenschaftler:innen und Repräsentant:innen aus dem Schul- und Hochschulalltag stattfand. Somit beschränkte sich die Auseinandersetzung nicht nur auf jene, die das Thema ohnehin schon mit großem Interesse verfolgen. Vielmehr wurde der Diskurs dadurch stärker an die „Welt da draußen“ und vor allem an die verantwortlichen Akteure angebunden.

Quo vadis, Meditationsforschung?

Persönlich befasse ich mich seit mindestens 10 Jahren mit der wissenschaftlichen Perspektive auf Meditation; vor 6 Jahren stieg ich dann selbst als Akademiker in das Feld ein. Damals schon wurde offensichtlich, dass insbesondere die Verbindung von Achtsamkeitspraktiken und Bildung ein besonders vibrierendes Thema ist. In meiner Zeit in diesem Feld besuchte ich einige Kongresse, Expertinnen und Akteure. Seitdem habe ich der institutionalisierten Wissenschaft zwischenzeitlich den Rücken zugekehrt und war deshalb sehr neugierig, was sich in meiner Abwesenheit getan hat.

Damals hatte ich vor allem zwei Eindrücke über dieses Forschungsfeld, in dem Bildung mit Achtsamkeit verknüpft wurde: Zum einen durchzog dieses Feld eine instrumentelle, objektivistische Perspektive, die für die Meditationsforschung sehr typisch war. Dabei wurde vor allem nach der Wirksamkeit von meditativen Praktiken gesucht. Die Ergebnisse waren dabei herrlich eindeutig.

Und so konnte leicht meine zweite Beobachtung ihre Rechtfertigung finden: Denn zum anderen konnte ich mich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Akteure in dem Feld zum Teil von einem missionarischen Eifer gepackt wurden. Es schien eine implizit geteilte Annahme zu sein, dass Meditation gut ist und deshalb in vielen Lebensbereichen und insbesondere der Bildung zum Einsatz kommen sollte. Ich teilte und teile diese Annahme – und doch entsteht eine gewisse Spannung, wenn sich Wissenschaft mit politischen Reformbewegungen vermischt.

Vor diesem Hintergrund besuchte ich die Konferenz und war gespannt darauf, zu erspüren, ob diese Eindrücke immer noch Bestand haben und wie sich das Feld weiterentwickelt hat. Ein einzelner Kongresstag ist nur ein kleiner Einblick, insofern müssen meine (subjektiven) Beobachtungen mit Vorsicht genossen werden.

Es blieb für mich bei dem Eindruck, dass das Feld von dem normativen Drang durchzogen bleibt. Während sich dieser Eindruck meist nur zwischen den Zeilen erahnen lässt, trat er manchmal auch deutlicher zu Tage. Etwa im dem Plenumsvortrag von Corina Aguilar-Raab, die einen Überblick über die Forschungsergebnisse gab. Als sie über Studien sprach, die keinen durchweg positiven Effekt der untersuchten Achtsamkeitsinterventionen an Schulen finden konnten, entfloh ihr der Satz „Es gibt auch Forschungsergebnisse, die anders sind als erhofft“.

Doch für einen solchen Satz sind keine Konsequenzen zu fürchten, da sich die Anwesenden ohnehin in ihrer politischen Reformmeinung einig sind. Und wie sollte sich ein Mensch mit einem halbwegs humanistischen Menschen- und Bildungsideal dem nicht anschließen? Denn dass die Achtsamkeits- und Mitgefühlspraktiken in vielerlei Hinsicht gut sind, wurde ja hinlänglich bewiesen.

Achtsamkeit zwischen Reform und Revolution

Grundsätzlich stört mich der normative Geschmack der Meditationsforschung überhaupt nicht. Ich hatte nie den Eindruck, dass wissenschaftliche Standards in Gefahr waren, und Forscherinnen, die für ihren Gegenstand brennen, sind sicher nicht verkehrt. Dabei ist jedoch wichtig, dass dieses motivierende Feuer bewusst gelebt und reflektiert wird.

Daher muss sich das Feld – und damit auch der Kongress – einer kritischen Bemerkung und Nachfrage stellen: Führt der Fokus auf die Implementierung von Achtsamkeitspraktiken dazu, dass andere dringende Veränderungsnotwendigkeiten ignoriert werden? Betäuben wir mit dem kleinen Hoffnungsschimmer einer ‚achtsamen Bildungsreform‘ die Wutkraft, die uns zu einer Bildungsrevolution treiben sollte? Und besonders perfide: Führt Achtsamkeit dazu, dass sich die Schüler:innen einem (vor-)gestrigen System anpassen, dessen Haltbarkeit längst überschritten sein sollte?

Mit Sicherheit führt Achtsamkeit dazu, dass sich das Bildungswesen mit weniger Systemsprengern und auffälligen Querulanten herumschlagen muss. Schüler, Lehrerinnen, Studierende – sie alle funktionieren besser mit Achtsamkeit. Doch die Frage, die dieser Kongress überhaupt nicht adressiert hat, lautet: Sollten wir dieses veraltete Bildungssystem überhaupt mit Achtsamkeitspraktiken unterstützen und evtl. retten? Sollten wir, bevor wir Achtsamkeit als Lösung präsentieren, nicht zunächst klären, was eigentlich die Frage sein sollte?

Man kann natürlich der Meinung sein, das bestehende System wird sich durch die Einführung von Achtsamkeit und anderen kleinen Stellschrauben ausreichend verändern. Um diese Meinung zu unterfüttern, wird in erster Linie auf das subversive Potential von meditativen Praktiken hingewiesen. Gerade hier ist es wichtig, Verantwortung für die eigene normative Haltung zu übernehmen und sie konsequent weiterzuführen. Dadurch kämen neue und ganz spannende Fragen in den Vordergrund:

Wie kann der Einbezug von Achtsamkeit dazu führen, dass Menschen im Bildungssystem (trotzdem) zu einem gelingenden Leben finden? Wie können Achtsamkeitspraktiken bei den systemischen Umbrüchen, die (nicht nur) dem Bildungssystem bevorstehen, unterstützen? Welche Rolle können und sollen meditative Praktiken in einer Bildungsutopie einnehmen?

Es dürfte klar sein, dass die Erforschung und Beantwortung dieser Fragen den Rahmen einer eintägigen Konferenz sprengen würde. Und doch finde ich es auch wichtig, die pädagogische Achtsamkeitsforschung nicht nur als Selbstbestätigung zu betreiben, sondern sie in einen ganzheitlichen, kritischen soziokulturellen Kontext einzubetten. Achtsamkeit kann ein äußerst mächtiges Werkzeug sein. Gerade deshalb ist es wichtig, darüber zu reflektieren, zu welchem Zweck dieses Werkzeug eingesetzt wird.

Fazit

Meine Teilnahme an der Konferenz “Achtsamkeit in der Bildung” war für mich sehr inspirierend und erkenntnisreich. Nicht zuletzt auch, weil ich den aktuellen Stand des Diskurses betrachten und beurteilen konnte, und mich selbst dann dazu positionieren konnte. Dass ich in diesem (recht persönlichen) Bericht über meine Unzufriedenheit über die fehlende Perspektive schrieb, soll nicht verhehlen, dass ich gleichermaßen auch große Sympathie für den Diskurs, seine Akteure und ihre Mission empfinde.

Denn in einer Welt, die uns leicht zu Resignation und Verzweiflung bringen kann, ist es auch ein schönes Zeichen, wenn Menschen zusammenkommen, die den Wunsch der Veränderung in sich tragen. So war der Kongress gleichsam auch von viel Hoffnung, Aufbruchstimmung und einem Gefühl, dass es auch anders gehen kann, geprägt.

Bennet Lee Bergmann betreut seit 2023 den Anzeigenverkauf des evolve Magazins. Nach seinem Studium der Soziologie und Philosophie, und seiner Zeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Weber-Kolleg in Erfurt, hat er in der Pflege als persönlicher Assistent gearbeitet. Neben seinem Engagement für die Evolve wirkt er noch als Autor (über Meditation und das dialogische Leben) und als Coach für gelingende Beziehungen.