Liebe kann man nicht machen

© Franca Bortot
© Franca Bortot
VON DER OFFENHEIT FÜR DAS LEBEN

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Unser Verständnis von Geist und Körper ist oft sehr dualistisch geprägt. Der Philosoph
Gernot Böhme wendet sich in seinem Denken gegen diese Dualität und wurde mit seinen Arbeiten zur Ästhetik und Leibphilosophie bekannt. Wir sprechen mit ihm darüber, was eine innige Beziehung zu Leib und Welt heute bedeuten kann.
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evolve: Leiblichkeit spielt in Ihrer Philosophie eine große Rolle. Lassen Sie mich mit einer allgemeinen Frage beginnen: Welche Bedeutung hat die Leiblichkeit für unser Menschsein?

Gernot Böhme: Vielleicht ist es dafür nützlich, zunächst den Unterschied zwischen Leib und Körper zu beschreiben, wie er sich inzwischen in der Phänomenologie eingebürgert hat. Der Körper ist unsere Natur, wie sie uns in Fremderfahrung gegeben ist, also in einer naturwissenschaftlichen Sicht, durch den Blick des Arztes oder auch durch den Blick in den Spiegel. Die Leiberfahrung ist hingegen die Erfahrung unserer Natur quasi von innen: Als Leib bezeichnen wir unsere Natur, wie sie uns in Selbsterfahrung gegeben ist. Das Wichtige hierbei ist, dass wir darin die Qualität des „Pathischen“ erfahren, im Unterscheid zum Aktiven. Pathisch heißt allgemein, das was uns widerfährt. Leibsein ist ein pathisches Phänomen, insofern wir uns als Leib selbst gegeben sind und insofern in uns leibliche Regungen aufsteigen.
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Leben widerfährt uns

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evolve: Diese innere Erfahrung des Leibes wird bei uns oft vernachlässigt. Wir meinen, dass wir einen Körper haben, aber wir vergessen, dass wir ein Leib sind – wie es Graf Dürckheim einmal formulierte.

Gernot Böhme: Dieser Unterschied von Sein und Haben, wie er ja auch bei Helmuth Plessner vorkommt, ist meiner Ansicht nach nicht für dem Unterschied von Leib und Körper entscheidend. Tatsächlich sind wir ja auch immer Körper. Leib und Körper, die durch die Erfahrungsweise streng getrennt sind, werden in der Praxis miteinander vermittelt. So in jeder Bewegung. Wir bewegen uns aus unserem Leibgefühl heraus, allerdings so, dass wir im Raum die mechanischen Gesetze erfüllen, denen wir als Körper unterworfen sind. Wir vermeiden Hinternisse und nutzen z. B. bei einer Pirouette im Eislauf das Gesetz von der Erhaltung des Drehimpulses.
In den westlichen Kulturen verstehen wir uns vom Ich her, also als eine Handlungsinstanz. So finden wir aber keinen Zugang zum Leib, denn der Leib ist, was uns gegeben ist – oder wie er uns selbst gegeben ist. Die Leiberfahrung ist in diesem Sinne eine pathische Erfahrung. Ich möchte damit nicht sagen, dass wir unsere eigene Existenz erleiden, aber sie widerfährt uns. In unserer Zivilisation ist im Gegensatz dazu ein Verstehen vom Ich her vorherrschend. Deshalb verstehen wir die einfachsten Dinge, die leiblich geschehen, als Handlung. Das zeigt sich schon in der Sprache. Wenn ich zum Beispiel sage, „ich schlafe“, dann klingt es so, als wenn ich den Schlaf mache. Oder noch extremer in der Formulierung, „ich mache Liebe“, „to make love“. Das alles sind ja eigentlich Erfahrungen, in die wir uns einschwingen, weil sie von unserem Leib und von unserer Natur her von selbst geschehen. Es ist nicht selbstverständlich, sich in Erfahrungsweisen einzuschwingen, wir müssen uns vielmehr darin üben.

böhme_1070evolve: Dieses Ich-Verständnis, auf das wir so viel aufbauen und dass – im Guten wie im Schlechten – eine Grundlage unserer westlich-europäischen Kultur und unseres Selbstverständnisses ist, beziehen wir auch auf unsere Körperlichkeit.

Gernot Böhme: Ja, wir leben dann aus einem Dualismus, oder besser: in einer Polarität mit einem Ich, das den Körper regiert. Das zeigt sich vor allem beim Leib, den man als Körper instrumentalisiert. Leider ist das unsere durchschnittliche Existenzform in der westlichen Zivilisation. Grund dafür ist die Philosophie des Descartes und die darauf aufbauende Pädagogik. Das eigentliche Menschsein bedeutet dann, dass man sich zum Vernunftmenschen stilisiert, ein herrschendes Ich in sich ausbildet, das den Körper instrumentalisiert und unserem Willen unterwirft. Dabei fällt das Rezeptive natürlich ganz und gar weg, das heißt, in dieser Haltung zu uns selbst sind wir nicht offen für das, was sich uns aus der leiblichen Existenz her zeigt.
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Das ganze Interview mit Gernot Böhme lesen Sie in der evolve 05:
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