Meditation im Mainstream – Selbstoptimierung und Transzendenz

screenshot_320Nadja Rosmann

Meditation ist in den letzten Jahren zu einem Trend geworden. Ihr implizites Versprechen: mehr geistige Unabhängigkeit unter den Vorzeichen einer Leistungskultur, die uns über den Kopf zu wachsen scheint. evolve-Redakteurin Nadja Rosmann geht der Frage nach, wo die Grenzen moderner Selbstoptimierungsstrategien liegen, was aus dem Ich im meditativen Prozess wird und welche Rolle die Bewusstseinsdimension von Meditation für die Entwicklung unserer Kultur haben kann.

Mentale Klarheit, gesundheitliches Wohlbefinden und ein Gefühl der inneren Freiheit gratis dazu – die sich explosionsartig verbreitenden neurowissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit von Meditation inspirieren immer mehr Menschen, eine Praxis der Stille aufzunehmen. Hochrangige Wirtschaftslenker wie Norbert Reithofer (BMW) und Peter Terium (RWE) outen sich im „Manager Magazin“ als Meditierer, „Focus“ widmete dem Thema Meditation im Frühsommer sogar ein 13-seitiges Special. Insgesamt interessieren sich bereits sechs Prozent aller Deutschen für Meditation, vor allem, weil sie sich als wirksames Gegenmittel bei Stress und Hektik erweist. Doch wie tragfähig ist eine solche Kompensationsstrategie, die darauf abzielt, mit der Effizienzkultur, die den Menschen zu verschlingen scheint, weiter Schritt halten zu können?
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Die moderne Kultur kollabiert

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„Sie lernen, wie Sie Ihren Geist auf Kommando beruhigen können. Sie steigern Ihre Konzentration und Ihre Kreativität“, erklärt Chade-Meng Tan die Segnungen des von ihm bei Google entwickelten Achtsamkeitstrainings „Search Inside Yourself“. Meditation wird hier zu einem Weg, im Arbeitsleben besser zu funktionieren. Und das scheint fast schon überlebenswichtig zu sein, denn laut Techniker Krankenkasse stehen 80 Prozent der 36- bis 45-jährigen Arbeitnehmer ständig unter Strom. Meditation kann hier zur Chance werden, das, was unsere Menschlichkeit ausmacht, nicht gänzlich preiszugeben – nicht zu Maschinen zu werden, die brav im vorgegebenen Takt rattern, bis sie den Geist aufgeben, sondern unsere Ganzheit in Form eines heilen, unverletzten Ichs wiederherzustellen.

Wir bäumen uns allerdings auf in einem System, das eigentlich bereits kollabiert. Der Versuch, dem ausufernden kulturellen Druck mit Kompensationsmechanismen zu begegnen, lässt Meditation zwar manche Bruchstellen der modernen Kultur in der persönlichen Wahrnehmung kitten. Die äußeren Widersprüche indes bleiben bestehen.

Wie tief die damit verbundenen inneren Konflikte sein können, zeigt sich beim Thema Liebe, dem Gefühl, das wir gerne als Kern unseres Menschseins betrachten. Beinahe alle von 200 befragten Führungskräften messen in einer Studie der Philosophie-Stiftung Identity Foundation der Liebe im Privatleben eine große Bedeutung zu, im Berufsleben hingegen noch nicht einmal die Hälfte, weil sie dort unter den Vorzeichen eines permanenten Wettbewerbs und der Gewinnmaximierung fehl am Platz zu sein scheint. Jede dritte Führungskraft leidet an dieser wahrgenommenen Wertediskrepanz. Und obwohl Meditation zu einem Gefühl der Ganzheit führen kann, scheint sich dieses Dilemma nicht „wegmeditieren“ zu lassen, denn selbst unter langjährigen Meditierenden empfindet etwa ein Drittel die äußeren Rahmenbedingungen des beruflichen Umfeldes als einengend, so eine Untersuchung des Bender Institute of Neuroimaging (BION). Die systemische Schizophrenie führt in ein persönliches Vakuum, wenn Meditation allein als „Ich-Optimierungs-Technologie“ verstanden wird.
Wie sich die Kluft vielleicht überwinden lässt, wird deutlicher, wenn wir uns bewusst machen, dass die neuronalen Vorgänge im Gehirn uns stets auf subtile, größtenteils unbewusste Weise mit der Kultur, wie sie bisher war, verbinden – und es der gezielten Anstrengung bedarf, um diese Bezüge in uns zu verändern. Ein großer Teil der Informationen darüber, was in einer Kultur gut, richtig und wichtig ist, sowie erhebliche Teile unseres Gefühlslebens, die diese Informationen bewerten, werden vom sogenannten Bottom-up-Schaltkreis verarbeitet. Er schöpft aus der Tiefe unserer Lebenserfahrungen und dies vor allem intuitiv und impulsiv. „Solche unausgesprochenen Lernprozesse brauchen nie in unser Bewusstsein zu dringen und wirken dennoch im Leben als Lenkungsmechanismen“, erklärt der Psychologe Daniel Goleman. Die unsichtbare Seite dieses Automatismus: „Unsere Motive schaffen in unserer Aufmerksamkeit die verschiedensten Verzerrungen und Voreingenommenheiten; diese nehmen wir in der Regel nicht wahr, ja wir bemerken noch nicht einmal, dass wir sie nicht wahrnehmen.“

Die boomende modernistische Betrachtung, die sich fast ausschließlich auf die funktionalen Aspekte von Meditation beruft, greift also zu kurz. Unser Menschsein beruht auf mehr als unseren Gehirnstrukturen. Es ist immer auch Ausdruck unseres Bewusstseins. Das „Gefühl schmerzlicher Zersplitterung“, das die Quantenphysikerin Danah Zohar als vorherrschende Befindlichkeit der heutigen Zeit benennt, deutet darauf hin, dass wir bereits eine Ahnung haben, noch nicht die zu sein, die wir werden könnten. Unsere Seele scheint sich nach einer Heilung zu sehnen, die tiefer reicht als das, was wir unter Gesundheit verstehen. „Doch dafür finden wir in unserem ichbezogenen Selbst und den Institutionen unserer Kultur nur wenige Ressourcen“, so Zohar, die hier den Blick auf die existenzielle Entfremdung zwischen Ich und Kultur richtet, auf die „optische Täuschung unseres Bewusstseins“ (Einstein), als Individuen von der Welt getrennt zu sein.
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Der Mensch ist keine Mind-Maschine

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Das Erkennen des Unterschieds zwischen einem Ich, das sich der Meditation aus einer Perspektive der Selbstbezüglichkeit widmet, und der Möglichkeit, durch innere Versenkung einen Bewusstseinsraum zu öffnen, der über das selbstbegrenzte Ich hinausweist, führt mitten in ein Paradox. Zwar kann Meditation unsere im Alltag so fixen Ich-Grenzen durchlässiger werden lassen, doch wird sie uns nur für eine „Weisheit jenseits des Ichs“ öffnen, wie Zohar die von ihr erforschte spirituelle Intelligenz umschreibt, wenn wir bereits ein rudimentäres Bewusstsein dafür entwickelt haben, dass es eine solche überhaupt geben könnte.
Die Quantenphysikerin bringt ein Spannungsfeld ins Spiel, das unser konventionelles Verständnis von Individualität zutiefst herausfordert: „Der Positivismus der Neurowissenschaften reduziert den Menschen auf eine Mind-Maschine. Spirituelle Intelligenz ist weit mehr als das. Sie umfasst unser Bedürfnis nach und den Zugang zu tiefer Bedeutung und fundamentalen Werten. Sie kreist um die Fragen: Warum sind wir hier? Warum leben wir? Es geht um eine transpersonale Dimension. Ich habe selbst einige transpersonale Erfahrungen gemacht – und es kam mir nicht so vor, als wäre all das eine Illusion. Meiner Erfahrung nach wurde das Gehirn kreiert, um sich in dieses Bewusstseinsfeld einzuklinken, damit wir in der Lage sind, die Realität in ihrer Gänze zu erfahren. Aber das ist nur meine persönliche Meinung, denn wissenschaftliche Beweise gibt es dafür bisher noch nicht.“

Was wäre, wenn wir die Achtsamkeit des meditativen Prozesses darauf richten, die vom Ich gezogenen Grenzen zu erkunden, uns an die Ränder unseres Bewusstseinsraums heranzutasten? Eine solche Öffnung kommt laut Zohar der „Konfrontation mit der Hölle“ gleich: „Es geht darum, bisherige Selbstverständlichkeiten zu hinterfragen. Man geht vielleicht sogar durch die dunkle Nacht der Seele.“
Das klingt erschütternd – und ist es auch.
Betrachtet man die Statistiken zu Burnout und Erschöpfung, dann scheint das isolierte Ich in der modernen Leistungskultur vergleichbaren Beben ausgesetzt zu sein, die an der Substanz unseres Menschseins rütteln. Rational betrachtet haben wir also wenig zu verlieren, wenn wir dieses gebeutelte und isolierte Ich in der Meditation radikal zur Disposition stellen. Sollte sich die transpersonale Dimension, von der Zohar spricht, nicht öffnen, landet das Ich schlicht wieder in der bereits vertrauten Hölle. Andererseits besteht auch die Chance, dass sich durch diesen mutigen Schritt wirklich alles ändert.
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Dem Bewusstsein bewusst Richtung geben

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Interessanterweise kommen an dieser Stelle auch wieder die funktionalistischen Perspektiven der Neurowissenschaften ins Spiel. Den Sprung ins Ungewisse, um den es letztlich geht, können wir nicht „machen“. Wir können allenfalls wachsam dafür sein, dass wir immer wieder vor ihm zurückschrecken – und in diesen Momenten versuchen, uns gezielt auf die Bewusstheit, die sich durch Meditation entfaltet, zu beziehen. Sie trifft im alltäglichen Leben auf die bestehenden Strukturen unseres Gehirns und unsere Gewohnheiten, auf die sich selbst bestätigenden Automatismen des Bottom-up-Schaltkreises. Achtsamkeit ermöglicht es, über dessen Gegenspieler, den sogenannten Top-Down-Schaltkreis, in diese automatischen Prozesse einzugreifen. Er ist die Instanz der bewussten Anstrengung und Willenskraft, die neuronale Basis des Neuen. „Aktive Aufmerksamkeit ist ein Gegengift gegen die Tendenz, mit zombiehaften Automatismen durch den Tag zu gehen. Wir können wachsam bleiben und automatische Routineabläufe infrage stellen. Eine solche konzentrierte, zielgerichtete Aufmerksamkeit wirkt gedankenlosen mentalen Gewohnheiten entgegen“, erklärt Daniel Goleman.

Als Psychologe hat Goleman vordergründig einen Wachstumsprozess innerhalb der bestehenden Ich-Identität im Blick, doch können wir das, was wir denken, fühlen und tun, immer auch daraufhin befragen, ob es aus dem EINEN aufsteigt, das sich uns in der Meditation eröffnet hat. Das aufmerksame Ich ist dann in der Lage, immer mehr Bezugspunkte, die dieser Ganzheit nicht mehr entsprechen, loszulassen. Durch dieses Ausschlussverfahren fallen immer mehr Schichten des Nichthinreichenden von uns ab. Das Ich wird transparenter, das Bewusstsein klarer. Und dieser Prozess kann sich bis in den „postpersonalen“ Raum ausdehnen, wie die Evolutionsforscher Peter Baumann und Michael W. Taft beschreiben: „Mit der Befreiung aus dem Gefängnis des Ego löst sich die Erfahrung unserer selbst als getrennt von allem anderen auf. Sie wird ersetzt durch eine Erfahrung der Offenheit, Freiheit, Weite und Lebendigkeit. Bewusstes Gewahrsein ermöglicht vollständige, enge Fühlung mit der reinen Empfindung des Lebendigseins.“
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Das Mögliche hat keine Grenzen

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Vielleicht werden wir diesen Punkt des reinen Lebendigseins nie erreichen. Allein der Sinn dafür, dass diese Dimension real ist, kann bereits alles verändern. Dann ist nicht mehr das Leiden an der bestehenden Kultur unser Antrieb, sondern die Erkenntnis, dass das Mögliche keine Grenzen hat.
screenshot_319In der lebendigen Spannung zwischen Meditation und Marktplatz kann aus dem sich weitenden Bewusstsein eine neue Kultur erwachsen. So zeigt die bereits erwähnte BION-Studie, an der sich 48 Teilnehmer des von dem spirituellen Lehrer Thomas Hübl entwickelten dreijährigen Timeless Wisdom Trainings beteiligten, wie sich die Bezugspunkte im Denken und Handeln verschieben, wenn wir als ein Ich in der Welt sind, das weiß, dass es eigentlich keine Grenzen hat. Ein Großteil der Studienteilnehmer macht sich durch die Erfahrungen der Meditation weniger abhängig vom Urteil anderer und hinterfragt vermeintliche äußere Zwänge stärker. Sie fühlen sich authentischer, suchen stärker nach dem Sinn in ihrem beruflichen Wirken und bringen bei der Arbeit mehr ideelle Werte zum Tragen. Die Weite meditativer Erfahrung beginnt also, sich im Alltag auszudrücken.

Diese Bewegung von innen nach außen, von der absichtsvollen Kultivierung des Bewusstseins selbst hin zu einer Verschiebung der bisherigen kulturellen Grenzen, könnte zur Morgendämmerung einer postpersonalen Kultur werden, die unter Menschsein mehr versteht als allein ein funktionierendes Rädchen im Weltgetriebe zu sein. Wenn wir bereit sind, in der Meditation die Komfortzone unseres begrenzten Ichs zu verlassen, offenbart sich, wer wir wirklich werden können. Und vielleicht führt uns dieser Prozess zur Möglichkeit, als Welt die Welt zu gestalten.

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