Editorial 23/2019

Abbildung: Aus dem Kunstprojekt von Johannes Volkmann: »Unbezahlbar«
Es ist immer interessant zu sehen, wie eine Ausgabe von evolve das nächste Schwerpunktthema schon in sich trägt oder danach fragt. Es fällt uns immer wieder auf, dass auch die Ausgaben selbst in einem Dialog stehen. Als ich beim ersten evolve-Salon in Rostock zu Gast war, kam in unserem Gespräch über »soziale Achtsamkeit« auch die Frage auf, wie unser Umgang mit Geld und die globalen Finanzsysteme, in denen wir leben, in diese Form der kollektiven Aufmerksamkeit einbezogen werden können.

Dieses Erlebnis war mir gegenwärtig, als sich in unseren Redaktionsgesprächen das Thema »Geld« immer mehr als relevant und dringlich abzeichnete. Eine Ausgabe zu diesem Thema wollten wir schon lange machen, aber jetzt schien der Moment richtig, uns der komplexen Frage zuzuwenden: Was macht Geld mit uns? In einigen ersten Reaktionen auf den Titel hörte ich die Bemerkung: Geht es nicht eher darum, was wir mit dem Geld machen, also wie wir es nutzen? Das ist sicher zutreffend, aber sind wir uns eigentlich der Macht bewusst, die das Geld und die Bewusstseinsform, die damit verbunden ist, auf unser Innenleben und unser Handeln haben – auf eine Weise, die uns oft nicht bewusst ist? Vielleicht zeigen sich die wirklich neuen Wege des Umgangs mit dem Geld erst dann, wenn wir diese Wirkung verstehen und darüber hinausschauen können.

Dass das Geld, das in unserem individuellen und gesellschaftlichen Leben solch eine Schlüsselrolle einnimmt und vielfach zum Ziel, Zweck und Anreiz und Lohn unseres Handelns geworden ist, eigentlich nicht unser Leben ausmacht, zeigt eine einfache Frage: »Was ist für dich unbezahlbar?« Diese Frage stellte der Künstler Johannes Volkmann mit seinem Kunstprojekt im öffentlichen Raum »Unbezahlbar«. Um dieser Frage Kraft zu verleihen, gestaltete er ein künstlerisches Bild: einen langen Tisch, in Papier verpackt, darauf Teller und Bestecke, ebenfalls in Papier eingepackt. Den Tisch stellte er auf zentrale Plätze zunächst in Nürnberg und dann weltweit in Palästina, Indien, Ägypten, Irland und vielen anderen Orten. Immer war die Einladung an die Menschen, mit Zeichnungen und Kommentaren auf die Frage nach dem Unbezahlbaren im Leben zu antworten und darüber ins Gespräch zu kommen.

Auch dieser Begegnungsraum in Johannes Volkmanns sozialer Kunst inspirierte uns, denn genau solch einen Dialog möchten wir auch mit dieser Ausgabe anregen. In seinem Leitartikel vertieft Thomas Steininger den Fluch und Segen, den Zauber und den Bann des Geldes vor dem Hintergrund unseres Umgangs mit dem Geld im Laufe unserer Geschichte. Diesen historischen Blick öffnet auch der Wirtschaftsethiker und Geldexperte Karl-Heinz Brodbeck und erläutert die Wirkung eines rechnenden Bewusstseins. Die Kulturwissenschaftlerin und Gender-Theoretikerin Christina von Braun führt das Geld zurück auf sakrale Opferriten und zeigt auf, wie auch heute dem Geld Opfer bringen. Warum in unserer Beziehung zum Geld oft Schweigen herrscht, erforscht die Philosophin und Ökonomie-Professorin Silja Graupe. Kreative Alternativen für unseren Umgang mit dem Geld eröffnen der Gemeinwohl-Gründer Christian Felber, der Bewusstseinsforscher Charles Eisenstein und der vor Kurzem verstorbene Vordenker der Komplementärwährung Bernard Lietaer in einem seiner letzten Interviews. Einen differenzierten und interkulturellen Blick auf das, was uns reich macht, wirft Maaianne Knuth, deren Eltern aus Dänemark und Simbabwe stammen und die in Simbabwe das Kufunda Learning Village gründete.

Im Verlauf der Arbeit an dieser Ausgabe wurde uns immer klarer, wie sehr dieses Thema auch mit den aktuellen brennenden Fragen zur Klimaerwärmung oder dem Flüchtlingsdrama im Mittelmeer zu tun hat. In diesen und vielen anderen Krisen zeigt sich, wie hoch der ökologische, menschliche und seelische Preis ist, den wir zu zahlen bereit sind, um eine Wirtschafts- und Lebensform zu erhalten, deren Triebkraft das Geld in seiner heutigen Form ist. Daran zeigt sich aber auch: Wenn wir das Geld verändern, verändert sich auch alles andere. Hier liegt ein radikaler Ansatzpunkt für den Wandel unserer Kultur und unseres Bewusstseins. Und dieser Wandel braucht uns.

Das führt mich zurück zu unseren evolve-Salons. Beim ersten evolve-Salon im Chiemgau kam eine Teilnehmerin auf mich zu und bezahlte ihre evolve mit dem Chiemgauer, der wohl etabliertesten Regionalwährung Deutschlands. Auch solche Initiativen sind ein Aspekt des beginnenden Umdenkens, an dem wir alle mitwirken können.

Wir sind gespannt, was diese Ausgabe bei Ihnen anregt und freuen uns, dieses und andere Themen, die wir mit evolve vertiefen, mit Ihnen im Dialog weiterzuführen. Dazu gibt es in nächster Zeit einige Möglichkeiten im Rahmen unseres Projekts evolve LIVE!. Mit unseren Tagesevents in verschiedenen Städten und unserer Konferenz 2020 in Berlin laden wir Sie ganz herzlich dazu ein, miteinander die soziale Achtsamkeit zu üben, in der sich in unserer schöpferischen Mitte ein neuer Blick auf die brennenden Fragen unserer Zeit zeigen kann. Wir freuen uns auf Sie und diesen unbezahlbaren Raum des Möglichen.

Herzlichst
Mike Kauschke
Leitender Redakteur