Friedensstifter

Wie mutige Menschen Gesellschaften in der Tiefe heilen

Die Welt erlebt heute eine neue Form von Kriegen. Sie brechen nur noch selten zwischen Staaten, sondern meist im Herzen von Gesellschaften aus. Auf dem Weg zurück zum Frieden kommt Aktivisten aus der Zivilgesellschaft eine zentrale Rolle zu. Mit Mut, Kreativität und sozialen Erfindungen versuchen sie, kollektive Wunden von innen zu heilen.

Michael Gleich

Beim Friedensgipfel fließen Tränen. Unter Schluchzen sagt Fatuma Adan aus Kenia, eine couragierte Anwältin, die sonst nicht davor zurückschreckt, mit bewaffneten Milizionären zu verhandeln: »Ich fühle mich, als sei ich in der Mitte durchgebrochen.« Ihr Sitznachbar, früher ein hoher Geheimdienstmann in seinem Land, verbirgt sein Gesicht in einem riesigen Taschentuch; er ringt merklich um Fassung. Eine arabische Friedensaktivistin sagt: »Jetzt ist er wieder da, dieser Schmerz, den ich nie wieder fühlen wollte.« Eine Frau steht auf, stellt sich hinter sie, legt die Hände auf ihre Schultern; nun klingt ihr Weinen wie eine Erlösung.

In dieser Runde von 30 FriedensstifterInnen aus der ganzen Welt können sie sich auch mit ihrer schwachen, verletzten Seite zeigen. Sie wissen: Auch die anderen kennen Gewalt aus nächster Nähe, erleben Einschüchterung bis hin zu Morddrohungen, haben selbst Traumata erlitten. Seelische Wunden. In ihren Heimatländern – ob in Afghanistan oder Somalia, Kolumbien oder Indonesien, auf dem Balkan oder den Philippinen – stehen sie ständig unter Beobachtung. Als Oppositionelle müssen sie sich gleichermaßen gegen korrupte Regierungen und erpresserische Rebellen durchsetzen. Die Mitarbeiter ihrer Organisationen erwarten von ihnen als AnführerInnen, dass sie stark und stabil sind. Nicht wenige von ihnen müssen auch in ihren Familien die Rolle des Starken einnehmen – und erklären, warum sie etwa eine lukrative Karriere als Anwalt zugunsten schlecht bezahlter Arbeit als MenschenrechtlerInnen aufgeben.

Doch hier können sie sich fallen lassen. Der erste Global Peacebuilder Summit, ein Friedensgipfel für die Zivilgesellschaft, findet in einem friedlichen Örtchen an der Havel statt, westlich von Berlin, umgeben von Pferdekoppeln, Storchennestern und Fischernetzen. Statt mit offiziellen Empfängen oder Pressekonferenzen beginnt der Gipfel mit einem Retreat in der ländlichen Stille. Ein Schutzraum, der das Vertrauen untereinander fördert. Viel Zeit zum gegenseitigen Kennenlernen. Nicht nötig, jemandem etwas vorzuspielen. Es geht darum, einander zu stärken und zu unterstützen. Emotional, praktisch, politisch.
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Von innen her heilen

Sie sind angetreten, ihre von Bürgerkriegen und Gewalt-Eskalationen verwundeten Gesellschaften von innen her zu heilen. Jede von ihnen verfügt über eigene Methoden und Strategien, die sich als wirksam erwiesen haben. Und jeder kann von den Erfahrungen der anderen profitieren. Wie bringt man bewaffnete Gruppen an den Verhandlungstisch? Wie organisiert man eine Wahrheits- und Versöhnungskommission so, dass sie nicht neue Konflikte erzeugt? Wie verhindert man, dass junge Erwachsene in extremistische Gruppierungen abdriften? Was wirkt am besten, damit kriegstraumatisierte Kinder wieder Vertrauen ins Leben fassen?

Während das Kriegshandwerk eigentlich eine primitive Angelegenheit ist (schon ein paar Messerstiche können einen ethnischen Konflikt neu entfachen), braucht Friedensarbeit Kreativität, Verhandlungsgeschick und Einfühlungsvermögen. Sie erfordert Intelligenz. Beim Gipfel im brandenburgischen Paretz zeigt sich: Neben dem emotionalen Halt durch die Gruppe Gleichgesinnter ist es die gegenseitige kollegiale Beratung, die den Friedensmachern am meisten nutzt.

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Lesen Sie das komplette Interview in der evolve Ausgabe 16 / 2017