Eine moderne Beziehung zu Gott

Aus der Einladung: “Diese Woche möchte ich gern meinen Artikel in der letzten Ausgabe der Zeitschrift EnlightenNext diskutieren. Dieser Artikel mit dem Titel “Eine Beziehung zu Gott” geht dem Phänomen nach, dass wir heute in unserer Spiritualität diese große Scheu, manchmal fast Abscheu haben, vor etwas Größerem in die Knie zu gehen. Hingabe und Demut scheinen uns hoffnungslos veraltete Worte zu sein.

Auch meine eigene Geschichte in unserer Arbeit in EnlightenNext, die ich in dem Artikel kurz berühre, spiegelt diese Ambivalenz gegenüber einer ‘vertikalen Beziehung’ zu dieser absoluten Dimension des Seins wider.

Am Ende meines Artikels steht die Aussage: “Vielleicht liegt die Aufgabe unserer Zeit auch darin, hier eine Antwort zu finden, eine Antwort auf die Frage: Ist es möglich, ein moderner selbstverantwortlicher Mensch zu sein und trotzdem nicht zu vergessen, dass es etwas gibt, das unserer ganzen Hingabe bedarf ?”

Gern würde ich dieser Frage am Donnerstag mit Euch weiter nachgehen. Zur Vorbereitung findet Ihr hier den ganzen Text des Artikels:

Eine Beziehung zu Gott – Die Herausforderung einer modernen Beziehung zu dem, was alles übersteigt.

„Wenn man dem Thema Gott zu ernst begegnet, verliert es seine Leichtigkeit. Das Ganze braucht auch seine spielerische Seite“, sagte mein Gegenüber mit großer Bestimmtheit. Wir unterhielten uns gerade darüber, wie es in unserer Zeit wieder möglich geworden ist, über eine Beziehung zu Gott zu sprechen, denn es ist noch nicht lange her, da war es fast unvereinbar, sich als moderner und aufgeklärter Menschen zu verstehen und sich doch zu einer tieferen, einer spirituellen Dimension des Lebens zu bekennen. Heute genügt der Blick in die Bestseller-Liste des deutschen Buchhandels, um zu sehen, es ist wieder modern, über Gott zu schreiben. Selbst aufgeklärte Intellektuelle scheuen vor dem Thema nicht mehr zurück. Uns beide beeindruckte, dass sich dieses neu belebte Interesse nicht nur auf traditionelle Christen und auch nicht auf die bunte New-Age-Szene beschränkt. Mein Gegenüber erwähnte eine Bekannte, eine junge, ambitionierte Neurowissenschaftlerin, die selbst in ihrem akademischen Umfeld aus ihrem Interesse an Meditation und Spiritualität kein Geheimnis macht. Im Gegenteil, das Thema ist ihr offizielles, akademisches Forschungsfeld. Oft sind es gerade junge, intellektuelle Menschen, die wieder eine Beziehung zur spirituellen Dimension des Lebens suchen, und das, ohne ihren wachen Intellekt an der Tür abzugeben.
Mein Gegenüber und ich waren am Rande einer spirituellen Konferenz über Ken Wilbers jüngsten Gedanken über das „Zweite Gesicht Gottes“ ins Gespräch gekommen, Gedanken, die uns beide sehr beeindruckt hatten. Die „Drei Gesichter Gottes“ sind die drei möglichen Perspektiven auf das Absolute, die wir als Menschen einnehmen können. Das „Erste Gesicht Gottes“ ist jene tiefe Einheitserfahrung, von der viele große Mystiker sprechen. Das „Dritte Gesicht Gottes“ ist jene Perspektive, in der wir Gott vor allem „in seiner Schöpfung“, in der Schönheit der Natur oder in den Weiten des Kosmos begegnen. Die Du-Perspektive, das „Zweite Gesicht Gottes“, das in unserer abendländischen Spiritualität immer eine wichtige Rolle spielte, ist aber eine Perspektive der Beziehung, in der uns Gott als „Du“, als jenes „große Andere“ begegnet. Und, nur alle drei Perspektiven gemeinsam, ergeben das ganze Bild. Aber was bedeutet es heute, eine Beziehung zum Absoluten zu haben?
Mein Gesprächspartner, der selbst seit vielen Jahren Seminare über neues Bewusstsein gibt, hatte eine sehr klare Vorstellung, wie sich dieses „Zweite Gesicht Gottes“ zeigt. „Überall wo ich einem Menschen begegne, begegne ich Gott, denn jeder von uns hat einen göttlichen Kern. In der Beziehung zu meinen Mitmenschen finde ich Gott als Du.“ Seine Antwort überraschte mich. Kein Zweifel, da ist etwas sehr Schönes und auch viel Wahrheit darin, in jedem Menschen Gott zu sehen. Aber was mich an der Du-Beziehung zu Gott so fasziniert, ist die absolut alles übersteigende Qualität dieser Beziehung. Es ist eine Beziehung zu etwas Absoluten, eine Beziehung die, wie Ken Wilber es formuliert, „unser Ego auf die Knie zwingt“. Es war diese Qualität tiefer Hingabe, die mich so bewegte, als ich vom „Zweiten Gesicht Gottes“ las.
Denn die Lektüre des „Zweiten Gesichts Gottes“ warf Licht auf eine entscheidende Erfahrung in meiner eigenen Biografie. Es war die Zeit, als ich meine Karriere als Journalist und Therapeut in Wien aufgegeben hatte und seit einigen Jahren in den USA in der spirituellen Gemeinschaft rund um Andrew Cohen lebte, auf einem wunderbaren Anwesen nördlich von New York. Unser Leben war damals von intensiver spiritueller Praxis und von vielen tiefen Gesprächen geprägt. Wir besaßen diesen Enthusiasmus einer Gemeinschaft, die davon überzeugt ist, ein authentisches und sinnvolles Leben zu führen. Wir alle hatten viel hinter uns gelassen, und wenn auch nicht alles perfekt war, waren wir doch davon überzeugt, dass wir ein sehr radikales spirituelles Leben lebten.
Der Schock kam, als unser spiritueller Lehrer uns auf sehr deutliche Weise klar machte, dass wir das, was er uns lehrte, trotz all der guten Dinge, die zwischen uns passierten, in einer sehr unauthentischen und kompromittierten Weise lebten. Andrew Cohen machte uns eineeinfache Sache klar: Trotz unserer tiefen Erfahrungen der spirituellen Dimension hatten wir uns als Menschen nicht wirklich geändert. Zwar hatten wir einen spirituellen Lifestyle angenommen, aber es war kein Leben, das wirklich von authentischer spiritueller Tiefe getragen war.
Es ist ein interessanter Augenblick, wenn das eigene Selbstbild auf den Prüfstand gestellt wird. Wie reagiert man, wenn man davon überzeugt ist, ein authentisches spirituelles Leben zu führen, der eigene Lehrer, dem man zutiefst vertraut, einen aber damit konfrontiert, dass man sich belügt? Ehrlich gesagt, es gab damals kaum eine Faser in mir, die wirklich hören wollte, was Andrew Cohen uns zu sagen hatte. Fast allen von uns ging es so. Die Folge war ein monatelanger tiefer Konflikt zwischen uns und unserem spirituellen Lehrer. Immer wieder dachten wir uns auf die höhere Perspektive einzulassen, zu der wir hier aufgerufen wurden. Und immer wieder stellte sich heraus, dass es nur eine Variante der alten war. Wenn ich heute darüber nachdenke, was uns daran hinderte, zusammen den entscheidenden Schritt zu tun, bin ich mir sicher, dass es letztlich um Hingabe ging – die Hingabe an diese ungeteilte kreative Kraft des Lebens, die all das, was wir meinen zu sein, grenzenlos übersteigt, jene Dimension, die Andrew Cohen das Authentische Selbst nennt. Was unser Lehrer damals von uns verlangte, war nicht weniger als unser Leben gemeinsam aus dieser Dimension zu leben. Diese Radikalität war es gewesen, die mich überhaupt zu Andrew Cohen geführt hatte, aber erst in dieser Periode wurde mir klar, welche Radikalität es von mir selbst braucht, um ein authentisches spirituelles Leben zu führen.
Es war letztlich völlig überraschend, als an einem Abend in einem der vielen intensiven Gruppengespräche zwischen mir und meinen Freunden ein Bewusstsein duchbrach, das ich nicht anders wie als ekstatische Nondualität bezeichnen kann. Was damals zwischen uns lebendig wurde, stellte für mich alles in den Schatten, was ich zwischen Menschen für möglich hielt – die unbeschreibliche Intimität, in der wir uns wiederfanden, die Transparenz, in der es wirklich keine Grenzen gab, obwohl jeder von uns in der ganzen Stärke seiner Individualität anwesend war.
Was damals zwischen uns aufbrach, veränderte in einer radikalen Weise meine Beziehung zur spirituellen Dimension des Lebens. Dieses dynamische ungeteilte Bewusstsein, das zwischen uns lebendig wurde, zeigte mir auch in brutaler Klarheit, wie man es immer nur selbst ist, der diesem Bewusstsein im Wege steht. Und Hingabe ist die einzig mögliche Antwort. Diese Monate waren auch eine Lektion in Demut – zusehen, wie wir ohne die kompromisslose Forderung unseres Lehrers, das Alte loszulassen und uns auf etwas wirklich Unbekanntes einzulassen, diesen Schritt nie gegangen wären. All diese Erfahrungen gingen mir durch den Kopf, als ich mich auf dieser Konferenz mit meinem Gesprächspartner unterhielt. Mir war nicht klar, wie ich sie wirklich vermitteln konnte, aber es waren genau diese Erfahrungen, mit denen ich Ken Wilbers Ausführungen zum „Zweiten Gesicht Gottes“ las. Der Satz aus der Bibel: „Dein Wille geschehe und nicht der meine“ bekam für mich durch sie eine neue, lebendige Kraft.
Unsere abendländische jüdisch-christliche Spiritualität, in der diese Perspektive so wichtig ist, in der wir als Individuen dem Absoluten „Angesicht zu Angesicht“ gegenüberstehen, gewann für mich, nach Jahren, in denen ich sie eher beiseite gestellt hatte, wieder neuen Wert. Und auch die alte spirituelle Geste des Auf-die-Knie-Fallens war für mich nicht mehr allein Ausdruck einer vor-modernen unmündigen Geisteshaltung, sondern auch Ausdruck des Respekts vor einer Dimension, die meine individuelle Existenz bei Weitem überschreitet. Da ist etwas Schönes, Würdevolles in diesem Akt von Demut und Hingabe, eine Würde, die uns in unserer heutigen Kultur von Lässigkeit und Ironie oft abhanden gekommen ist. Und gleichzeitig wollen wir auch nicht in jene vor-moderne Zeit zurück, in der wir vor allem Untertanen von Kirche und Krone waren. Denn auch die Moderne hat uns eine neue Würde gegeben – unsere eigene Unabhängigkeit und Selbstverantwortlichkeit.
Gibt es eine Spiritualität, in der wir als erwachsene Menschen auf die Knie gehen können vor dem Mysterium, das allem zugrunde liegt? Wir sträuben uns doch gegen jede Beziehung zu etwas, das „höher“ sein könnte als wir. Auch wenn mein Gesprächspartner und ich uns einig waren, wie cool es wieder ist, von einer Beziehung zu Gott zu sprechen – oft hält unser Interesse nur solange an, solange diese Beziehung nicht uns selbst vom Thron stößt. Vielleicht liegt die Aufgabe unserer Zeit auch darin, hier eine Antwort zu finden, eine Antwort auf die Frage: Ist es möglich, ein moderner selbstverantwortlicher Mensch zu sein und trotzdem nicht zu vergessen, dass es etwas gibt, das unserer ganzen Hingabe bedarf? (Text von Dr. Tom Steiniger)