Leserstimmen zu evolve 03

Mythos Maschinenintelligenz

Dass sich evolve dem Transhumanismus widmet, finde ich schlüssig und spannend. Doch bei all den interessanten Beiträgen vermisse ich das kritische Hinterfragen der Behauptung, dass es überhaupt so etwas wie „künstliche Intelligenz“ gibt. Als Informatik-Professor kenne ich die Arbeitsweise scheinbar intelligenter Maschinen recht gut, doch bei aller Begeisterung über immer schnellere Verarbeitung immer größerer Datenmengen sprechen meiner Meinung nach viele Gründe dagegen, Maschinenfunktionen auf eine Stufe mit menschlicher (oder auch tierischer) Intelligenz zu stellen; wobei ich Intelligenz insbesondere als die Fähigkeit sehe, kreativ neue Lösungen für gegebene Probleme zu entwickeln:

– Computer funktionieren auf Basis von Algorithmen, d.h. festgelegten Verfahren, die vordefinierte, elementare Schritte nacheinander abarbeiten. Was sich nicht auf einzelne Anweisungen reduzieren lässt, lässt sich nicht berechnen. So ist es etwa leicht beweisbar, dass es unendlich viele mathematische Funktionen gibt, die nicht von Algorithmen berechnet werden können. Auch ist es unmöglich, einen Algorithmus zu entwickeln, der bestimmte einfache Aussagen über beliebige andere Algorithmen überprüft (Stichwort “Halteproblem”).

– Die lebendige Welt scheint in vielen Bereichen gerade nicht auf elementare Bausteine reduzierbar zu sein: Leben, Bewusstsein und Intelligenz lassen sich trotz vieler Bemühungen nach wie vor nicht „bottom-up“ als reines Zusammenspiel von Lebensatomen, Bewusstseins- oder Denkalgorithmen erklären. Sogar die menschliche Wahrnehmung trotzt reduktionistischen Modellen, ist sie doch stark geprägt von übergeordneten Sinnzusammenhängen (“Gestalt”). Spätestens im vielzitierten Cocktailparty-Stimmengewirr scheitert jede Computerspracherkennung.

– Computer und Gehirn sind sehr unterschiedlich aufgebaut: Im Computer erfüllt jeder der Milliarden Transistoren einen vorab festgelegten, spezifischen Zweck. Der Ausfall eines einzigen Transistors kann zum vollständigen Systemausfall führen. Im Gehirn lassen sich heute lediglich grobe Funktionsbereiche identifizieren, selbst der Ausfall größerer Hirnareale kann oft weitgehend kompensiert werden.

– Würden Sie Ihren PC als intelligent bezeichnen? Falls Ihr PC nicht das macht, was Sie wollen, wird er sein Verhalten auch dann nicht ändern, wenn Sie es immer wieder neu probieren. Wo ein menschlicher Interaktionspartner gemeinsam nach einer neuen, anderen Lösung suchen würde, verlässt der Computer nie die Grenzen des programmierten Verhaltens, auch wenn es nicht zum Ziel führt. Das ist nicht Intelligenz, sondern entspricht eher Einsteins Zitat vom Wahnsinn. Wenn zwei fehlerhafte Programme miteinander kommunizieren, gibt es Stillstand oder Endlosschleifen, wenn zwei (fehlerhafte) Menschen miteinander kommunizieren, kann völlig Neues entstehen.

– Computer können nach wie vor keine (sinnvollen, neuen) Computerprogramme schreiben, dabei müsste das ein besonders einfacher Anwendungsfall für künstliche Intelligenz sein, da es keine problematischen Schnittstellen zur materiellen Welt gibt. Doch sogar die simpelste Handy-App wird von menschlichen Programmierern entwickelt.

Mir ist keine technische Lösung bekannt, die ich ernsthaft als „intelligent“ bezeichnen würde. Gleichzeitig wird dieses wertvolle Prädikat überall vereinnahmt. Da schwärmt eine Autowerbung vom „intelligenten Allradantrieb“, wo man doch eigentlich einem Großteil der Autoindustrie jegliche Intelligenz absprechen müsste, da mehr Autos gewiss nicht die kreative, neue Lösung für die Probleme dieser Welt sind. Wer Maschinen Intelligenz zuschreibt, macht uns Menschen kleiner als wir sind – oder will vielleicht Verantwortung abschieben, als wären unsere globalen Aufgaben eher technischer als menschlicher Natur. Viele Menschen scheinen sich mehr für „intelligente“ Telefone zu interessieren als für intelligente Gespräche. Anstatt auf Technik und Transhumanismus zu setzen, sollten wir weiter daran arbeiten, dass wir Menschen wirklich „human“ werden.

Prof. Dr. Eckhard Kruse
(Weitere Gedanken zur Intelligenz finden sich übrigens auch in meinem Buch „Der Geist in der Materie“.)


Ich habe evolve auf dem Kongress in Heiligenfeld bekommen und bin sehr begeistert. Die Themen, die spirituelle Sicht auf Welt, die Vielfalt der Autoren und Autorinnen – vor allem, dass so endlich mal gleichviele kluge spirituelle Frauen wie Männer zu Wort kommen, das alles freut mich sehr und ich hätte gerne mehr davon.

Karola Berlage, per Email


Das Heft ist wunderbar – keine Frage. Was mich aber doch ein bisschen enttäuscht hat, war die Tatsache, dass ihr den Schwierigkeiten viel mehr Raum gebt, als den Möglichkeiten. Auch die grundsätzliche Frage, die bei der Konfrontation mit dem Transhumanismus auftaucht „Was ist Bewusstsein?“ hätte mehr Raum vertragen. Trotzdem ein großes Dankeschön, dass ihr als einer der ersten den Transhumanismus mit der Spiritualität verknüpft, sodass das Thema nicht länger nur für Hardcore Materialisten interessant ist.

Gerhard Höberth, über Facebook


Gratuliere zu evolve! Eure neueste Ausgabe zum zukunftsmitentscheidenden Staffellauf zwischen ko-evolutionärer Bewusstseinsentwicklung und technologisch-transhumanem Optimierungsstreben ist Leading Edge! … Hollywood und US-TV sind voller transhumaner Visionen, jeder sieht es – und keiner diskutiert es.

Wolfgang Aurose, über Facebook


Bei der Diskussion um künstliche Intelligenz gibt es einen Aspekt, den ich aus anthroposoph-integralen Hintergrund einbringen möchte. Kognitive Intelligenz, wie sie der Mensch hervorbringt, steht in einem Spannungsfeld zwischen körperlicher Welt und geistiger Welt – nach „unten“ hin verbunden mit der stofflichen Natur, nach „oben“ mit dem formlosen GEIST. Dies ist möglich, weil das Denken in einem biologischen Organismus eingebettet ist, der diese beiden Verbindungen ermöglicht. Letzteres haben „intelligente“ Maschinen nicht. Da ist kein Bewusstsein und Selbstbewusstsein, wie es in biologischen Körpern möglich ist. Maschinen sind intelligente Anordnungen anorganischer Materie – eine tolle Sache. Aber Denken ohne Bewusstsein ist so wie Autofahren ohne Fahrer. Es kann nur ferngesteuert fahren und navigieren. Ziel, Sinn, Glauben und Werte eines individualisierten Bewusstseins haben Maschinen nicht.

Peter Grandy, über Facebook


So sehr die Vision (oder ist es eine Allmachtsfantasie?) und das Versprechen des Transhumanismus spirituelle Bezüge und neo-techno-gnostische Ansprüche hat, so ist doch dessen technologischer Determinismus, unkritischer Fortschrittsglaube und nicht-integrale Ausrichtung auf einen entleiblichten Menschen (und Natur) als informationsverarbeitende Gott-Maschine problematisch.
Wie kann, ohne in die Hybris eines Techno-Posthumanismus zu verfallen, ein anthro-dezenriertes Verständnis und entsprechende Praxis eines materio~sozio~kultureller Seins und Werdens gewonnen werden, welches den sinnlichen und sinnvollen Geist einer engagierten Gelassenheit wahrt und in rechter Weise, weise ver-antwortlich ist?

Prof. Wendelin Küpers, im Blog


Ein paar Gedanken zu den Ausgaben 2 und 3: Das Thema „Weltinnenraum“ (evolve 2) hat mich inhaltlich ziemlich enttäuscht. Irritiert hat mich dabei, dass Ihre Autoren bei den Begriffen Gefühl, Intuition, Denken, Rationalität schwimmen. Abgesehen von Barbara Marx- Hubbard, die ich sehr schätze, fand ich die Auswahl der Autoren bzw. Gesprächspartner zu linkshirn-lastig, während Weltinnenraum für mich mehr das rechte Hirn betrifft. Natürlich werden Außen-Reize innen verarbeitet, aber vermisst habe ich das, was anfängt zu leben, wenn wir z. B. die Augen schließen. Dort begegnen wir der Welt der Bilder, unseren Sehnsüchten, Träumen und Ängsten und vielleicht den Archetypen als archaische
Steuer-Elemente.
Ihre Ausgabe 3 mit der Thematik Transhumanismus fand ich dagegen sehr gelungen. Es gab
für mich eigentlich keinen Beitrag, den ich nicht sehr anregend fand. Zum Transhumanismus hege ich eine gewisse Affinität, einfach, weil ich immer spannend finde, was machbar ist. Es wurden viele spannende Fragen aufgeworfen. Thomas Steininger spricht die zentrale Frage des Bewusstseins an. Er schreibt: „Dieser Prozess (der Evolution) war immer auch mit einer
Entwicklung des Körpers verbunden.“ Das sehe ich als wichtigen Punkt. Die Austauschbarkeit von Körperteilen mag im Einzelfall hilfreich sein, aber für mich liegt der evolutionäre Weg mehr in einer zunehmend bewussteren Handhabung unserer „Hardware“. Wenn man wie ich Wunderheilungen erlebt hat und/oder mit feineren Energien arbeitet, kommt man eher zu dem Schluss, dass es um eine geistige Durchdringung des Stofflichen gehen könnte. Unser Körper ist kein „Ding“, sondern die vorübergehende Manifestation unseres seelischen Zustands. Und eben weil unser Körper kein „festes Objekt“ ist, wird eine technische Optimierung uns nicht glücklich machen. Oft wird argumentiert, dass sich unsere Leistungsfähigkeit durch verfeinerte Wahrnehmungsmöglichkeiten steigern würde. Hier gebe ich zu Bedenken, dass schon heute viele Menschen mit ihren Wahrnehmungen durch ein Übermaß an Reizen überfordert sind. Hier muss das Ich stabilisiert werden, was uns zur Erfordernis der Meditation bringt.
Diese Argumente kann man auch auf die Ausführungen von Natasha Vita-More (nettes
Pseudonym) anwenden. Ihre Aussagen finde ich etwas blauäugig: „Intelligente Geräte können
uns helfen, dass wir uns unserer psychischen Situation bewusster werden …“ Wenn überhaupt, dann müsste eine menschliche Reife die Voraussetzung sein für eine
angemessene technische Nutzung. Wie das in unserer (vor allen Dingen der amerikanischen)
Gesellschaft üblich ist, werden wahrscheinlich die ersten optimierten Menschen für Spionage
und Kriegführung eingesetzt.
Ich bedanke mich für die vielen guten Anregungen und wünsche Ihnen weiterhin gute Ideen und Enthusiasmus für Ihre Arbeit.

Michael Gebauer, per Email